Für immer in Honig
sie das zweite Mal gegen Toussaint gekämpft haben. Den echten, den historischen Toussaint. Nach dem Verrat der Revolution, als Napoleon die Sklaven wieder einfangen lassen wollte.«
»Hmpffn?« fragte Dieter und kämpfte mit einem schrecklichen Würg reflex. Der Schwarze neben dem Bart trug eine seltsame Uniform: weiße, enganliegende Hosen, bei denen Dieter an Heavy-Metal-Shouter, kali fornische Poser oder Jockeys denken mußte, und eine dunkelblaue, mit goldenen Knöpfen und silbernen Schultertroddeln verzierte Jacke, die einen absurd hohen, aufgestellten und bestickten Kragen hatte.
Der Mann hielt ein winziges, sehr flaches metallblaues Handy in der Rechten, schimpfte gelegentlich rein, herrschte auch hin und wieder zwei weitere Personen an, die hinter Dieter mit Technischem beschäftigt waren – saßen die in Konsolen, tippten sie was auf Keyboards? Das Klackern klang jedenfalls danach, und hin und wieder flackerte es am oberen Rand von Dieters Sichtausschnitt auch phosphorblau und bildschirmmilchig.
»Als sie eine der Festungen angegriffen haben«, sagte Braun, »die Toussaints Armee gehalten hat, und sie stürmen wollten, da hörten sie die Sklaven drinnen plötzlich singen, um sich Mut zu machen – wissen Sie, was die gesungen haben?«
Dieter verneinte schwächlich: »Mm-mm …«, mit weit offenen Augen, ihm war hundsübel. Dr. Rock summte zuerst, und dann sang er, leise, wie ein Wiegenlied: »Nnn … nnn … de la patrie … die Marseillaise haben sie gesungen. Das Revolutionslied. Das Lied, das die Franzosen für ihres hielten. Es hat ihnen nämlich gar nicht gehört, den Franzosen, verstehen Sie? Die Menschenrechte … die Franzosen haben sie fallen lassen, aber den Sklaven waren sie noch wichtig. So ist es immer weitergegangen, seither.«
Und Braun ließ Dieters Kopf zurücksinken aufs flache Kissen, der Wagen wackelte und ruckelte, die Schüsse pfiffen, die Granaten und Mörser röhrten und grollten, die Menschen schrien, und niemand sang die Marseillaise.
5 Die Fahrt den umkämpften bebenden Berg hoch und auf der andern Seite wieder hinunter dauerte mehrere Stunden. Für Dieter Fuchs bestand die Reise aus langen Phasen der Dunkelheit – schwarzer Regen, grünes Rauschen –, durchbrochen von schmerzhaften Wach- und trüben Dämmerminuten. Am Ende hatte Klemens August Braun den Patienten mit Tüchern, die von etwas beißend Scharfem getränkt waren und die er Dieter in genau bemessenen Abständen auf Mund und Nase drückte, einigermaßen stabilisiert, so daß der schließlich fragen konnte: »… fammni? Stefanie?«
»Ihre Frau, ja«, sagte Braun, »die habe ich rausfliegen lassen. Ihretwegen bin ich hergekommen. Ich wollte die bescheuerte Insel nie wiedersehen – aber wenn man Stefanie Mehring zu Valerie bringt und das Kind damit vielleicht dran erinnert, daß es mal ein anderes Leben gegeben hat, in dem sie nicht die Piratenbraut war, und daß ihre Entscheidungen seit der Zeit sehr zu wünschen übrig gelassen haben, und daß sie viel Schaden angerichtet hat, im Leben unschuldiger Menschen, dann ist vielleicht noch nicht alles zu spät. Aber Sie wissen natürlich nicht, wovon ich rede.«
Dieter bejahte keuchend, mit gefurchter Stirn.
Klemens Braun seufzte: »Für Sie ist das alles eins. Wir werden Sie ins Auffanglager bringen, Sie werden abgeschoben, nach Europa wahrscheinlich, via die USA . Die Insel gehört jetzt Toussaint.«
Dieter spuckte ins Taschentuch. Der Speichel war ihm widrig, ein untragbares Gefühl auf der Zunge, aber soviel er auswürgte: Die Taubheit ging nicht weg.
»Stefanie … getrennt …«
»Ja, Sie werden sie so schnell nicht wiedersehen. Und warum sollten Sie? Wie viele Familien werden nicht auseinandergerissen, wenn die Welt in den Wehen liegt … das ist der Lauf der Dinge.«
»Warum … machen Sie das … alles mit … Stefanie und …«
Braun kniff die Augen zusammen, näherte sein Gesicht dem des Geschwächten und sagte: »Ihr Leute denkt immer, es ginge um euch. Weißt du, wen ich verloren habe? Meine liebe Cordula, die nicht nur zu den besten Kadern gehört hat, als es meine Partei noch gab. Sie war auch ein erstklassiger Mensch, damals. Anständig. Klug. Wir wollten das aufhalten, verstehst du? Daß die Welt mythisch wird. Wir wollten diese Technologie, diese Mythematik und Mythizin, das alles, zurückdrängen, so wie die Magier am Ende des Mittelalters versucht haben, unsere Technologien aufzuhalten, das Experiment, die Induktion, die
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