Für immer in Honig
begonnen hatte: »Hi Judith, hier ist die Ileana, ich wollte mich bloß mal melden und hören, wie es dir so geht und was du so machst. Ruf mich doch mal zurück, vielleicht hast du Lust, am Freitag auszugehen.«
Ileana weiß es also auch schon, dachte Judith panisch und angeekelt: daß ich vermutlich Zeit habe zum Ausgehen, denn mein Freund geht fremd, mit einem Teenager – das hätte, als er mir den Mist erzählt hat, ja eigentlich meine erste Sorge sein müssen: Was werden andere denken, wenn sie die beiden zusammen sehen?
»Nie mehr als Küssen«, das hat er versprochen.
Und ich hab’s gefressen. Die Scharade, den Plan, daraus ein Buch zu machen, die verrückte Rechtfertigung vom »Störfeuer in einer toten Intellektuellen- und Bohemewelt, die nichts mehr aufregt und die ich trotzdem aufregen muß, jetzt erst recht, jetzt oder nie«.
Warum? Wozu?
Und weshalb habe ich mich bloß so davor gefürchtet, daß er mir ernsthaft untreu sein könnte, daß er am Ende an dem Mädchen tatsächlich was finden könnte, anstatt mir Gedanken über meine Würde zu machen und darüber, was man über mich denken wird, bei alldem? Wie konnte ich denn glauben, davon verschont zu bleiben?
Kollateralschäden: Zwar ist meine Szene nie ganz dieselbe gewesen wie seine – Konzerte: ja, aber nicht unbedingt die »relevanten« für seinesgleichen Schreiber und Wichtiglaberer; Ausstellungen: gern, aber nicht zwingend zur Eröffnung; Vorträge und Lesungen: warum nicht, aber keineswegs, um die lesenden Autorinnen und Autoren hinterher zu treffen, über die Nichtigkeit des Betriebs abzuhecheln und sich gegenseitig zu belauern. Ich dachte also, es kommt schon nicht raus, da, wo ich mich bewege – nein, Schwachsinn, ich weiß nicht, was ich dachte. Der Anrufbeantworter piepste: Er hatte alles aufgenommen, was Ileana mitgeteilt wissen wollte. Judiths Umgebung war vergiftet – jedenfalls Bodo, den sie vorgestern in der Bäckerei getroffen hat und der Andeutungen machte, die ihr Herzrasen und Pulszittern verursachten, in dieser blöden Schlange mit der verdammten Brotjutetasche unterm Arm: »Wer ist denn die Maus, mit der Robert in der Malewitsch-Retrospektive war? Nicht Stefanie Mehring, meine ich, die und Dieter waren auch da … Diese vier sieht man jetzt öfter zusammen – ist das Mädchen ’ne Verwandte von Dieter, kennst du sie?«
»Cousine von Robert, das heißt eigentlich von Bettina, seiner Frau – die, von der er getrennt lebt, weißt du«, hatte Judith so gefaßt wie möglich erwidert, aber ab diesem Moment war das Leben ein Spießrutenlauf geworden. Wußten sie vielleicht sogar im Grafikbüro schon von der Sache, wo Judith tagsüber ihre ganz kleinen Lohnarbeiterinnen-Brötchen backen mußte und wo immerhin einer zu den Chefs zählte, der engste Beziehungen zu Roberts Welt pflegte, insofern sein Freund der Agent des im literarischen Nebenberuf sehr erfolgreichen journalistischen Kollegen war, der Robert vor zweieinhalb Jahren für die große Zeitung entdeckt hatte? Wußten die Leute vom Kleinverlag, in dem Roberts eigene Bücher erschienen waren und wo also wohl auch seine geplante »Anti-Lolita« erscheinen sollte, von der Geschichte? Die beiden Verleger vor allem, Karl und Jochen, die Judith immer mal wieder beim in letzter Zeit häufigen Ausgehen ohne Robert – mit wechselnden Freundinnen, Freunden und Bekannten – begegneten, und die – bildete sie sich das ein? – seit Beginn des »Experiments« ihr an Bartheken und am Rand von Tanzböden jene ausgesuchte Hö flich keit gönnten, die man für Leute reserviert, die einem irgendwie leid tun?
»Das ist wirklich alles die aller-, allergrößte Scheiße«, preßte Judith wütend zwischen strichdünnen Lippen hervor. Ohne weiteres Nachdenken stand sie ruckartig auf, zog sich ihr schwarzes Jäckchen übern Pulli und verließ die Wohnung, um sich Zigaretten zu holen.
Über all dem Ärger hatte sie nämlich vollständig vergessen, daß sie seit über zwei Jahren nicht mehr rauchte.
4 An einem heißen Tag, der alle Hummeln und Blüten freute und mehr Betrieb auf die Wiesen brachte, als seit Monaten dort zu finden gewesen war, stand ein grüner VW -Bus auf der Zufahrt zum Anwesen der Komponistin (die sich neuerdings auf ihrer Visitenkarte aus Daffke mit »C« schrieb: »Componistin«) und Electronica-Forscherin Cordula Späth, am Fuß der Berge voller schwarzer Bäume, und ein Mann in schweren Pilotenstiefeln und mit langem Bart, in weißem Mantel, auf dem Arm ein
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