Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
bin schon jetzt völlig ausgelaugt. Am Ende. Aber ich will dranbleiben. Wir müssen verhindern, dass er weitermacht!“
„Sie glauben, dass er weitermacht?“ fragte Ayse.
Bernd Schultze schloss die Augen. „Kommen Sie! Ich lade Sie auf ein kleines Feierabendbier ein und erkläre Ihnen, was ich meine.“
„Einverstanden“, erwiderte Mechthild. Sie war froh, die Gelegenheit zu erhalten, heute noch etwas anderes zu sehen als ihre berufliche Umgebung. Außerdem war sie gespannt, wohin Schultze sie führen würde.
Alle drei verließen das Polizeihaus und gingen den Ostertorsteinweg hinunter. In Höhe der Kunsthalle bemerkte Mechthild, dass sie ihr Fahrrad am Polizeihaus vergessen hatte. Sie verspürte keine Lust, jetzt noch einmal zurückzugehen. Bernd Schultze sprach kein Wort, während er mit Ayse und Mechthild den Ostertorsteinweg entlanglief. Erst als sie in die Weberstraße einbogen, ergriff er mit einer ein wenig nach Verständnis heischenden Stimme das Wort und teilte mit, dass er mit den beiden ins Wiener Hof-Café einkehren wollte. Das Wiener Hof Café war ein Urgestein unter den alternativen Kneipen im Viertel. Hier verkehrten die Aussteiger, die Vierteloriginale, hier sah man noch fundamentalistische Ökogrüne, die immer noch selbstbewusst Latzhosen mit einer aufgenähten Sonnenblume trugen. Hier versammelten sich die in die Jahre gekommenen Altkiffer, die marxistisch-leninistisch Gesinnten und ehemalige Frontkämpfer aus den Hausbesetzerzeiten und hingen den alten Zeiten nach. Anfang der achtziger Jahre war es den Streifenwagen der Polizei untersagt, durch diese Straße zu fahren, um unnötige Provokationen zu vermeiden. Denn im Umkreis des Wiener Hof Cafés waren die Häuser besetzt. Heute stellte sich das anders dar. Das ehemalige Lagergebäude einer Einzelhandelskette, auf dessen Dächern damals die Steinpyramiden standen, die als Wurfgeschosse gegen die Vertreter der staatlichen Obrigkeit dienen sollten, war heute ein florierendes Kulturzentrum, das mit staatlichen Mitteln am Leben gehalten und vom Einzelhandelsverband des Viertels als Frequenzbringer für die Laufkundschaft bezeichnet wurde. Die ihm gegenüberliegenden Häuser waren saniert, und einige der ehemaligen Besetzer wohnten heute dort. All das ging in Mechthilds Kopf herum, als sie mit Ayse unter der Führung von Bernd Schultze die Kneipe betrat.
„Der einzige Laden, wo man ein korrekt gekühltes Guinness vom Fass bekommt!“ stellte Bernd Schultze ungefragt fest. Und es hörte sich an wie eine kleine Entschuldigung, dass sie als Polizisten ausgerechnet hier hineinschneien mussten. Die bedrohlichen Zeiten für Polizisten waren hier längst Vergangenheit.
Sie setzten sich an einen kleinen, runden Tisch auf einer winzigen Empore. Maria, die Chefin der Kneipe, nahm ihre Bestellung auf und mit ihrer freundlichen Art ihnen auch das Gefühl, dass sie eigentlich nicht hierher gehörten. Mechthild und Ayse schlossen sich der Bestellung Bernd Schultzes an und nahmen das irische Schwarzbier.
Als sie sich zugeprostet und einen ordentlichen Schluck der schwarzen Kohle, wie es eingefleischte Biertrinker auch bezeichneten, genommen hatten, wollte Mechthild nun endlich wissen, woran sie mit Schultze war. „Also nun mal zur Sache!“ wurde sie konkret. „Mir ist ehrlich gesagt noch nicht klar, wie Sie unsere Ermittlungen unterstützen. Ich will jetzt mal was hören!“ Das starke Bier stieg ihr in den Kopf. Sie hatte den ganzen Tag noch nichts Richtiges gegessen.
Bernd Schultze leckte sich den steifen Schaum des Guinness von der Oberlippe. „Tja, wie soll ich meine Methode erklären? Ich gehe davon aus, dass alle Toten eine Geschichte erzählen können. Zum einen kann man aus ihrem Zustand und dem, was und wie es ihnen widerfahren ist, einiges ableiten. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass in vielen Toten noch ein Rest lebendiger Seele, so will ich das mal nennen, existiert, zu der man manchmal Kontakt aufnehmen kann. Wenn einem das gelingt, kann man im günstigsten Fall Einstellungen und Bilder bekommen, die sehr aufschlussreich sein können.“
Hier machte Schultze eine Pause. Er wusste schon aus anderen Gesprächen, dass das, was er sagte, bei einigen seiner Mitmenschen den Verdacht erregte, dass er nicht ganz normal sei. Besonders andere Polizisten und Staatsanwälte hielten meistens nicht viel von seiner Auffassung. So war er häufig allein mit seiner Art zu ermitteln. Aber daran hatte er sich gewöhnt. Er musste sich selbst
Weitere Kostenlose Bücher