Fuer immer und ledig - Roman
anschwellende Gelächter. Ich sah zu Jörg, der irgendwie blass wirkte.
»Ich würde gerne den Part der Frau übernehmen«, sagte Charles zu mir. »Begleiten Sie mich?« Er scheuchte seinen Pianisten zurück zum Cateringstand, der darüber gar nicht mal unzufrieden aussah. »Wir müssen nur eben sehen, wie hoch ich gehen kann. Sopran schaffe ich nicht ganz.«
Er zwinkerte den anderen zu, und obwohl sein Publikum aus ansonsten abgebrühtem, coolem, durch kaum etwas zu beeindruckendem Künstlervolk bestand - wir aus der Fabrik und noch ein paar Musiker -, sah ich lauter strahlende Gesichter, die ihn mit großen Kinderaugen anhimmelten. Charles Bonham war eine Rampensau. Das war Jörg auch, aber Jörg war gleichzeitig ein Möchtegern, wohingegen Bonham genau wusste, wie er die Leute um den Finger wickelte. Kein Wunder, dass er ganze Festhallen füllte.
Wir probierten ein paar Tonlagen aus, und dann legten wir los. Anders als Jörg entschied er sich für die verrückteren Lieder mit den schrägen Texten. Und wir fingen an mit »Wie lange schon«:
Wie lange schon war immer mein Verlangen
Ach, wäre doch ein Musikus mir gut …
Das Stück lebte, wie viele der Wolf-Lieder, auch von der Geschichte, die über die Klavierstimme erzählt wurde. Am Ende des Stücks durfte ich die hilflosen Versuche des »Musikus« imitieren, wenn der für seine Liebste dilettantisch auf der Violine herumkratzte, eine sehr dankbare Stelle für die Klavierbegleitung, und immer ein Lacher für das Publikum.
Hatten sie bei Jörg noch höflich geklatscht, so johlten, pfiffen und trampelten sie bei uns. Wir legten nach, der schmächtige Bonham hatte mittlerweile von Tim ein langes Kleid und einen großen Damenhut gereicht bekommen, zwischendurch pinselte er sich noch Tiffys Lippenstift auf, und mit jedem Lied wurde er mehr und mehr zum Transvestiten.
Unsere kleine, intime Zuhörerschar lag vor Lachen auf dem Boden. Außer Jörg natürlich. Den ließen wir zwischendurch auch noch das ein oder andere Liedchen anstimmen, aber es war klar, was das Publikum wollte.
Und mit einem Mal kamen immer mehr Leute. Lauter Menschen, die ich noch nie gesehen hatte. Sie trugen
gehobene Kleidung und sahen ganz danach aus, als besäßen sie große Villen irgendwo in den Hamburger Elbvororten. Oder direkt an der Alster. Ich sah, wie einige Ina von Lahnstein begrüßten, und dann entdeckte ich in der ständig größer werdenden Menge einen zufriedenen Rupert, der sich die Hände rieb.
Als er meinen Blick auffing, machte er das Daumen-hoch-Zeichen, und später erfuhr ich: Er war zum Hotel rübergerannt, wo von Lahnsteins »Gegenveranstaltung« stattfand. Auf dem Weg dorthin hatte er sich ein paar alte Tourplakate, die er noch von Charles im Kofferraum herumfliegen hatte, unter den Arm geklemmt, sich kaltblütig an der Rezeption einen dicken schwarzen Filzschreiber ausgeborgt, auf unsere Veranstaltung verwiesen und die Plakate überall hingepinnt. Ein Foto von Bonham war für das gut dressierte Klassikpublikum immer ein Hingucker, und so konnte das Hotelpersonal die Plakate gar nicht schnell genug wieder abhängen - die Leute waren längst unterwegs zu uns, um Charles Bonham zu erleben.
Und sie waren begeistert von Bonhams schräger Darbietung. Wir spielten immer weiter und weiter und bemerkten gar nicht, dass sich Jörg dezent verzogen hatte.
Und dann entdeckte ich - von Lahnstein. Bonham sang gerade »Schweig einmal still, du garst’ger Schwätzer dort«, ein Lied, in dem die Frau sich über einen Ständchen singenden Verehrer mokierte: »… das Ständchen eines Esels zög ich vor!« Wie gut, dass der arme Jörg zu dem Zeitpunkt schon gegangen war. Er hätte es
auf sich bezogen. Wenn ich mir Charles Bonham so ansah, vermutlich sogar zu Recht.
Ich hätte erwartet, dass von Lahnstein sauer war. Aber er begrüßte seine Frau mit einer, nun ja, recht kumpelhaften Umarmung (kein Wunder, dass sie ihm fremdging!), holte sich einen Prosecco und sah uns genauso begeistert zu wie alle anderen im Raum.
Irgendwann gingen uns die Lieder aus. Die Leute tobten und forderten eine Zugabe.
Charles Bonham schüttelte den Kopf und sagte: »Von mir haben Sie jetzt genug gesehen. Ich komme vielleicht später noch mal. Aber diese junge Dame wird Ihnen, wie ich hörte, etwas präsentieren.«
Rupert schoss zu uns nach vorne und übernahm die Anmoderation. So, wie er seine Hand mit eisernem Klammergriff auf meiner Schulter parkte, wollte er wohl sicherstellen, dass ich nicht
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