Für immer untot
warum nicht? Ist mein Tod vielleicht nicht interessant genug für dich? Was könnte dein Interesse wecken? Wenn Robespierre hier hinge, verdammt…Ich nehme an, ihm würdest du zuhören, nicht wahr?«
»Ich…«
»Aber ich bin ja nur ein Kapitän der Ostindischen Kompanie, der den Fehler machte, auf das falsche Schiff zu feuern. Warum solltest du dich für einen solchen Niemand interessieren, habe ich recht?«
»Jetzt hör mal«, sagte ich und sah den Kopf finster an. »Ich habe hier nicht unbedingt einen großartigen Abend. Erzähl mir davon, oder lass es. Ist mir schnuppe!«
»Deshalb brauchst du mich nicht gleich so anzuschnauzen«, erwiderte der Kopf eingeschnappt. »Meine Herrin möchte einfach nur den Namen deines Schneiders wissen.«
»Was?«
»Der Magier, der dein Kleid verzaubert hat«, erklärte der Kapitänskopf in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ: Die schwerste aller schweren Prüfungen im Leben nach dem Tod bestand im Umgang mit Leuten wie mir.
»Er… steht derzeit nicht zur Verfügung.« Was durchaus stimmte, denn er war noch gar nicht geboren.
»Du willst das Geheimnis für dich behalten, wie? Das wird meiner Herrin nicht gefallen«, sagte der Kopf hämisch.
Während meines netten Gesprächs mit dem Kapitänskopf hatten Mircea und Ming-de miteinander geplaudert. Sie sprachen auf Mandarin-Chinesisch, aber ich verstand die beiden Worte »Codex Merlini«.
Und selbst wenn ich sie nicht verstanden hätte: Der Umstand, dass sich Mirceas Hand plötzlich fest um meinen Arm schloss, hätte auf jeden Fall meine Aufmerksamkeit geweckt.
»Wir sind wegen des Codex hier?«, flüsterte er.
Ich sah ihn an und fragte mich, was all die Aufregung sollte. »Ja. Ich habe dir doch gesagt…«
»Du hast ein Zauberbuch erwähnt!« Mircea verbeugte sich, sprach noch einige schnelle chinesische Worte und zog mich von Ming-de fort.
»Das ist es auch!«
»Dulceafä, den Codex Merlini ›Zauberbuch‹ zu nennen… Genauso gut könntest du die Titanic als ›Boot‹ bezeichnen.«
Ich begriff nicht, was geschah, merkte aber, dass wir uns zur Tür zurückzogen.
»Warte! Wohin gehen wir?«
»Weg von hier.«
Ich widersetzte mich, obwohl das natürlich überhaupt keinen Sinn hatte. »Aber die Versteigerung beginnt gleich!«
»Genau das befürchte ich«, brummte er, und plötzlich ging das Licht aus.
Es war auch vorher nicht unbedingt hell gewesen – nur einige Kerzen hatten gebrannt —, aber jetzt wurde es stockdunkel. Ein Arm schlang sich mir um die Taille, und ich quiekte, bevor ich die Aufregung des Geis bemerkte. Stimmen murmelten um uns herum, und Leute bewegten sich auf allen Seiten, als Mircea schnurstracks durch die Menge ging und mich praktisch trug.
Ich wusste nicht, was mit ihm los war. Über den plötzlichen Blackout schien sich niemand zu freuen, aber offenbar geschah auch nichts Bedrohliches. Als wir die Treppe erreichten, hatten sich meine Augen soweit an die Finsternis gewöhnt, dass ich im Licht meines Kleids sehen konnte. Der Raum war Sternenlicht und Schatten und schien sich überhaupt nicht verändert zu haben.
Bis dunkle Gestalten durch die zerbrechenden Fenster sprangen.
Mircea zog mich in seine Arme und flog fast mit mir zum Foyer.
Unterwegs begegneten wir anderen dunklen Gestalten – ich konnte sie nicht richtig erkennen, was sich aber nicht auf den Mangel an Licht zurückführen ließ. Und dann waren wir wieder oben, etwa in der gleichen Zeit, die ich für einen Sprung benötigte. Auf dem Treppenabsatz vor der Bibliothek blieb Mircea stehen und wich einem Magier aus, der rückwärts durch die Tür stolperte – Ming-des Fächer umschwirrten seinen Kopf wie zornige Wespen.
Einer von ihnen traf einen Wandleuchter und schnitt ihn entzwei.
Ich blickte zur Bibliothekstür und sah ein Chaos aus Zaubern und umherfliegenden Dingen, untermalt von zahlreichen Schreien. Alles war so hell, dass ich keine Einzelheiten erkennen konnte. Mircea packte einen Magier, der die nach oben führende Treppe blockierte, und warf ihn nach unten. Er prallte gegen die Magier, die versuchten, alle nebeneinander die schmale Treppe emporzustürmen, und die meisten von ihnen fielen. Die Fächer flogen ihnen so entgegen, als hätten sie eine Mission zu erfüllen.
Ein Blinzeln später befanden wir uns in der nächsten Etage, wo es ein Magier mit der Contessa zu tun bekam. Ihre hübsche Mantille hatte sich zu einem glitzernden Netz ausgebreitet und ihn wie Spinnweben umhüllt. Bevor wir den Weg nach
Weitere Kostenlose Bücher