Für immer untot
Fenster, doch die Temperatur in der Wohnung lag bei dreißig Grad. Das war allerdings nicht der Grund für mein Schwitzen.
Die Strahlen der Nachmittagssonne schienen dicker zu sein als sonst, bohrten sich durch Staubwolken und einen Schwärm aus Hunderten von Fliegen. Die Biester schwirrten über etwas, das ich auf den ersten Blick für eine wirre Ansammlung von Körperteilen hielt, die auf einem großen Doppelbett lagen.
Bei genauerem Hinsehen erwies sich das Durcheinander als die Leiche eines Mannes. Sie war nicht frisch, gelinde gesagt. Ich war keine Expertin, bezweifelte aber, ob ein gerade Verstorbener wie ein von Faulgasen aufgeblähter Ballon aussehen konnte. Der Anblick war so grässlich, dass mir seine Farbe erst nach einigen Sekunden auffiel. Ich verglich sie mit der eines Pfefferminzbonbons nach dem Essen: ein kreidiges Blaugrün.
»Saleh war ein Dschinn«, sagte Pritkin knapp, bevor ich fragen konnte. »Sehen Sie ihn irgendwo?«
Ich richtete einen ungläubigen Blick auf ihn. »Er ist kaum zu übersehen.«
»Ich meine seinen Geist.«
Ich schüttelte den Kopf. Wenn es hier einen Geist gab, dann war er ein echter Leisetreter. Oder er war durch den Gestank des Zeugs, das aus dem Dschinn quoll, in Ohnmacht gefallen. Den Fliegen schien es zu gefallen: Etwa hundert hatten sich dort versammelt und bildeten einen schwarzen Buckel. Ich würgte und versuchte, durch den Mund zu atmen, was allerdings nicht viel half.
»Vorsichtig, Cass… du bist fast so grün wie der Bursche da«, kommentierte Billy. »Sag dem Magier, dass ich hier der einzige Geist bin, und lass uns dann verschwinden. Ich krieg das Grausen.«
Ich schluckte erneut. »Spürst du was?« Wenn jemand einen ausgeflippten Geist finden konnte, dann Billy.
»Nein, aber ich sehe mich sicherheitshalber um. Manchmal verstecken sich die neuen.« Er machte nicht oft auf großzügig, woraus ich schloss, dass ich wirklich ziemlich mies aussah.
»Danke.« Ich wandte mich langsam der Tür zu, mit der Absicht, den vergleichsweise herrlich duftenden Smog von Vegas einzuatmen – vorausgesetzt natürlich, es gelang mir, im Wohnzimmer ein Fenster zu öffnen. Aber Nick stand mir im Weg.
Ich hatte ihn nicht hereinkommen sehen und erschrak so heftig, dass ich quiekte, zurückzuckte und gefallen wäre, wenn Pritkin mich nicht festgehalten hätte. »Ich bezweifle, dass er hier ist«, sagte er knapp und stellte mich wieder auf die Füße. »Selbst wenn ein Teil von ihm überlebt hätte. Er wäre bestimmt auf der Suche nach dem Mörder.«
»Was könnte ein Geist jemandem antun?«, spottete Nick.
Pritkin und ich wechselten einen Blick. Er hatte beobachtet, welchen Schaden einige verärgerte Geister anrichten konnten, wies aber nicht daraufhin. »Ich sehe mir den Rest des Apartments an«, sagte er und ging.
»Er mag der beste Dämonenjäger des Corps sein«, sagte Nick und sah seinem Kumpel mit gerunzelter Stirn nach. »Aber ich wette, Sie wissen mehr über Geister. Saleh könnte einen zurückgelassen haben, nicht wahr?« Er sah von mir zu der Leiche, die jedoch keine Antwort gab. Was mich kaum überraschte, da ihr der Kopf fehlte.
»Keine Ahnung.« Ich war noch nie einem Dschinn begegnet, vermutete aber, dass für sie die gleichen Regeln galten wie für andere nichtmenschliche übernatürliche Geschöpfe, die keine Geister hinterließen. Natürlich war das auch bei den meisten Menschen der Fall. Geister waren eigentlich ziemlich selten, was bedeutete: Welche Informationen auch immer Saleh ins Jenseits mitgenommen hatte – aller Wahrscheinlichkeit nach blieben sie dort. Doch derzeit stand mir nicht der Sinn nach einer langen Erklärung. »Billy sieht sich um. Wenn etwas von Saleh übrig ist, wird er es finden.«
»Wenn etwas von ihm übrig ist? Entweder ist er ein Geist, oder er ist es nicht!«
Nick schien ein bisschen gestresst zu sein; neben dem rechten Auge pulsierte eine Ader. Er sah mir eher wie der Bürotyp aus; Außeneinsätze schienen ihm nicht zu behagen.
»So einfach ist das nicht«, sagte ich. »Nicht alle Geister sind permanent.
Manche bleiben eine Zeit lang in der Nähe ihrer Körper, bevor sie sich mit der neuen Situation abfinden und den Weg fortsetzen.«
»Wie lange?«
»Einige Stunden oder auch einige Tage. Nicht länger als eine Woche, es sei denn, sie wollen auf Dauer präsent bleiben.«
»Nach dem Zustand der Leiche zu urteilen, ist er nicht länger als vier Tage tot. Sein Geist könnte also noch in der Nähe sein.«
»Vielleicht. Aber
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