Für immer untot
des Senats landete, weil er einmal zu oft zu weit gegangen war, aber es half nichts, mit ihm zu reden, und in der Vampirwelt gab es keine Therapeuten. Eines Abends dann erlaubte sich jemand einen Scherz und meinte, Alphonse brauchte ein Hobby, und daraufhin leuchtete es in Tonys Augen auf.
Der unglückliche Scherzbold bekam die Aufgabe, etwas zu finden, das Alphonse mehr Spaß machte, als jemanden zu töten – falls seine Suche erfolglos blieb, sollte er selbst für die notwendige Unterhaltung sorgen. Alle hatten geglaubt, dass sein Schicksal besiegelt war, auch er selbst. Doch dann hatte er einen Fotoapparat gekauft und eine Dunkelkammer eingerichtet, und eine Woche ward Alphonse nicht mehr gesehen.
Wenn Alphonse nicht auf Leichen als Models zurückgreifen konnte, knipste er alle, die sich am Hof herumtrieben. Es gefiel ihm, Leute in irgendeiner peinlichen Situation zu überraschen oder sie aus dem schlimmsten aller Winkel abzulichten. An den Wänden in meinem Zimmer, unter Rafes wundervoller Decke, hingen schreckliche Bilder: ich selbst mit verdrehten Augen, die nur das Weiße zeigten; mit dem Mund voller Pizza; mit der Wange so dick wie bei einem Backenhörnchen, nachdem mir der Zahnarzt einen Zahn gezogen hatte.
Zuerst hasste ich die Bilder und verabscheute es, jeden Morgen in Gesellschaft von grotesken Versionen meiner selbst zu erwachen – sie präsentierten sich mir sogar im Spiegel, wenn ich zu lange hinsah. Aber ich hatte es nicht gewagt, Alphonses Geschenke von der Wand zu nehmen, wo sie bald immer mehr Platz beanspruchten. Und als meine Sammlung wuchs, sah ich sie nach und nach mit anderen Augen.
Alphonses Lieblingsmodel war seine Freundin, eine vollbusige Blondine mit Armen so dick und muskulös wie die eines Mannes. Einäugige Sal, so nannte man sie. Ihr Erscheinungsbild wurde dem Spitznamen gerecht: Eine Narbe reichte durch ihr linkes Auge über die Wange bis zum Mundwinkel. Das Auge hatte sie beim kalifornischen Goldrausch an ein anderes Saloonmädchen verloren, das beim Zuschlagen mit einer zerbrochenen Flasche etwas schneller gewesen war. Kurz darauf hatte Tony beschlossen, sie seinem Stall hinzuzufügen. Vor der Verwandlung zum Vampir verlorene Körperteile bildeten sich nicht neu, und so musste sich Sal fortan mit einem Auge begnügen. Alphonse schien das nichts auszumachen – mit ihrem narbigen Gesicht und dem schiefen Lächeln war die Einäugige Sal überall in seiner Bildersammlung präsent.
Ich erinnerte mich daran, dass ich eines Tages das neueste Foto von mir betrachtet hatte, aufgenommen mit einem Rot-Filter, der die Akne auf Wangen und Kinn in etwas verwandelte, das einer Marslandschaft ähnelte. Mein Blick war weitergeglitten zu einem Bild, das Tony auf seinem Thron zeigte – er hatte noch aufgedunsener gewirkt als sonst. Sals Foto dazwischen schenkte ich kaum Aufmerksamkeit, obwohl es eine Nahaufnahme von ihrer Narbe war. Zwischen Tony und mir wirkte sie vollkommen normal. Ich begriff: Durch Alphonses Linse gesehen waren alle hässlich – oder alle hübsch. Es hing ganz von der Perspektive ab.
Ich fand es faszinierend, und fortan sah ich Fotos von mir aus einem anderen Blickwinkel. Ich begann sogar zu glauben, dass sie im Gegensatz zu den aufgeputzten, gekünstelten Aufnahmen, die meine Gouvernante bevorzugte, richtig interessant waren. Alphonse mochte ein mörderischer Mistkerl sein, aber im Gegensatz zu einem bestimmten Kriegsmagier ergab er manchmal einen Sinn. Und ich hatte allmählich die Nase voll davon, es dauernd mit Leuten zu tun zu haben, die ich nicht verstand.
Die letzten Wochen hatte ich damit verbracht, durch Pritkins Welt zu wandern, in die ich angeblich gehörte, und dabei war ich mir wie jemand vorgekommen, der ein fremdes Land besuchte und nur ein paar Brocken von der dortigen Sprache kannte. Die meiste Zeit über hatte ich keinen blassen Schimmer, was eigentlich vor sich ging, und einige Male war meine Verwirrung so groß geworden, dass ich befürchtet hatte, sie könnte zu bleibenden Hirnschäden führen.
Ich konnte das Spiel nicht gewinnen – es nicht einmal spielen –, solange ich die Regeln nicht kannte. Ich musste das Spielfeld freiräumen, und dazu brauchte ich die Vamps.
»Alphonse mag ein Schläger erster Güte sein, aber er ist kein Meister der ersten Stufe«, erinnerte ich Rafe. »Wenn Mircea stirbt, sitzt er im gleichen Boot wie du und ist gezwungen, bei der Familie, die ihn aufnimmt, um seinen neuen Rang zu kämpfen.«
»Er braucht sich
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