Full House: Liebeserklärung an die Chaosfamilie (German Edition)
so klein, dass Sie ihn mit Sicherheit sogar übersehen würden, wenn er auf Ihrer Nase sitzt. Und den Käfig stopfen wir am Ende auch noch mit Zeug voll: mit allem, was kein Kabel hat und nicht mehr gebraucht wird. So ist wenigstens der Zwerghamster glücklich und zufrieden.
Aber das wirkliche Drama nimmt erst jetzt seinen Lauf, als Renate sich ans Steuer setzt und unsere Kinder auffordert, hinten im Wagen Platz zu nehmen. Ich bin ein verträglicher, geradezu sanftmütiger Mensch, aber die Liebe zu meinen Kindern bringt nun das berühmte Fass zum Überlaufen. Niemals würde ich – und Beate teilt in diesem Fall meine Meinung – unsere Kinder der tödlichen Gefahr aussetzen, mit Renate am Steuer nach Rügen zu fahren. Nicht einmal bis zur nächsten Ecke! Ich bin sicher, dass bei jedem schweren Unfall der letzten zwanzig Jahre auf Deutschlands Straßen meine Schwiegermutter irgendwie beteiligt gewesen sein muss. Zumindest mental. Wenn Sie plötzlich ungebremst gegen eine Mauer rauschen und nicht wissen, wieso. Wenn Sie unvermittelt Ihren Vordermann im Heck haben und sich fragen, wie das sein kann. Wenn Sie in den Straßengraben rutschen, ohne überhaupt losgefahren zu sein. Dann hat vermutlich meine Schwiegermutter in Niedersachsen gerade ans Autofahren gedacht und sich in Ihr ganz persönliches Schicksal eingemischt. Bei ihr führt die Kombination von Auto und Telepathie unmittelbar zu etwas ganz Neuem: Telepathologie.
Dass Renate einen Führerschein besitzt (den ich allerdings noch nie gesehen habe), kann nur daran liegen, dass sie die Prüfung in Usbekistan abgelegt hat. Ihr Fahrstil ist indiskutabel und für alle Mitmenschen lebensgefährdend. Niemals würde ich ihr meine Kinder anvertrauen. Aber das Schicksal meint es gut mit mir an diesem Tag, Beate schaltet sich rettend ein.
»Nein, Mama, lass mal, die Kinder kommen bei uns mit. Nehmt ihr doch Yuma!«
»Nee, der Hund stinkt«, mischt sich mein Schwiegervater ein. Aber dann geschieht etwas, was mich verblüfft: Renate gibt nach.
»Gut, dann fährt eben dein Vater.« Ich spüre, wie ganz Deutschland aufatmet. Das Unfallrisiko auf Deutschlands Straßen ist in dieser Sekunde beträchtlich gesunken, Versicherungsgesellschaften reiben sich erleichtert die Hände. In den Kirchen stimmen sie landauf, landab ein »Halleluja« an. Und mein Herzinfarktrisiko sinkt auf unter zwei Prozent.
Mittlerweile hat sich Lulla heimlich an die Verkabelungunserer selbst eingebauten Stereoanlage gemacht – weiß der Himmel, wie sie da hingekommen ist – und kann nur in letzter Sekunde von Clara davon abgehalten werden, einen Zusammenbruch der gesamten Elektronik meines zugegeben etwas älteren Wagens auszulösen.
»Clara, wir hatten fest abgemacht, dass Lulla im Käfig mitreist!«
Wenig später geht es los, und ich gestehe, meine Vorfreude auf diesen Urlaub hält sich in Grenzen.
Es wird, wie meistens, eine denkwürdige Reise. Ich frage mich immer wieder, warum Kinder, und im Übrigen auch meine Frau, nicht zur gleichen Zeit zur Toilette gehen können. So zieht sich unsere Reise länger hin. Abwechselnd muss jeweils eines der Kinder, der Hund oder Beate aufs Klo. Glück im Unglück, wenn man es denn so nennen mag, ist, dass Yuma unbemerkt von uns bereits vor Antritt der Reise auf den Fahrersitz gepisst hat. Was wahrscheinlich auch der Grund ist, warum Beate darauf besteht, dass ich fahre.
Und wenn Sie glauben, dass das die einzigen »Zwischenstopps« sind, muss ich Sie enttäuschen. Kinder, zumindest unsere, haben auch nie zur gleichen Zeit Hunger. Und Tankstopps, die bei allen Normalfamilien auch zur Nahrungsaufnahme dienen, wirken bei unseren Kindern hungerunterdrückend. Nein, erst cirka fünf Minuten nach dem Tanken, wenn man wieder auf der Autobahn ist, bricht bei einem der Kinder der Hunger durch, der dann natürlich sofort gestillt werden muss.
Doch der kluge Paps baut vor: Natürlich habe ich mir schon vor der Abreise heimlich die Taschen mit Snickersund Mars vollgepackt und kann deshalb die hungrigen Mäuler vorübergehend stopfen.
»Das ist wieder mal typisch für dich! Aus lauter Bequemlichkeit lässt du die Kinder das ungesündeste Zeug futtern. Hauptsache, der Herr Familienvater kann sich ungestört seinem Geschwindigkeitsrausch hingeben.«
»Geschwindigkeitsrausch? Hast du vergessen, dass ich hinter deinem Vater herfahren muss? Das fühlt sich an, als wären wir im Rückwärtsgang unterwegs! Mich wundert, dass uns keine Menschen in Rollstühlen überholen.
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