Full House: Liebeserklärung an die Chaosfamilie (German Edition)
erledigen. Denn um 9.30 Uhr muss man bekanntlich schon wieder damit rechnen, dass der Kindergarten anruft und fragt, wieso Ryan eigentlich keine Badehose dabei hat, heute war doch Planschen angesagt. Das Einzige, was jetzt planscht, sind seine Tränen. Also wieder rein in die Kiste und einmal quer durch die Stadt hetzen, um die Badehose zu bringen. Natürlich die falsche (»Ich wollte aber die mit den Seepferdchen drauf!!!«), was noch einmal eine schwere Krise zur Folge hat. Zwanzig Minuten später ist auch diese Krise befriedet, und es geht wieder zurück nach Hause – beziehungsweisefast nach Hause. Denn kurz bevor man in die eigene Straße einbiegt, klingelt das Handy: »Du, Clara will sich befreien lassen, ihr ist schlecht. Kannst du sie abholen?« Blick zur Uhr. Halb elf. Eigentlich hätte ich jetzt einen wichtigen beruflichen Termin. »Bitte, Schatz, ich muss ins Nagelstudio!« Da bleibt mir nur noch stumme Resignation, und ich nicke. Eine richtige Ehefrau kriegt auch das intuitiv mit. »Danke, du bist ein Schatz!«
Es war dann doch ein Versehen im Sekretariat. Gemeint war Clara Friedebold-Bröger. Die Sekretärin hatte nur aus Versehen bei uns angerufen. Wozu gibt man seinen Kindern eigentlich ausgefallene Namen? Also wieder zurück. Kurz bevor ich in die eigene Straße einbiege, klingelt das Handy. Absolutes Déjà vu: »Sag mal, hast du Clara nicht abgeholt? Die wollte sich doch befreien lassen!«
»Das war ein Versehen, Schatz. Die haben da noch eine Clara. Irre, was?«
»Na klar. Die Clara Friedebold-Bröger, das weiß ich doch.«
Meine Frau kann sich Dinge merken, die ich nicht mal wahrnehme. Zum Beispiel die Namen fremder Kinder. Sogar mit Nachnamen! Ich sitze ja immer bei den Elternabenden und frage mich ständig, welche Mama zu welchem Kind gehört – oder welcher Papa.
Keine zwei Minuten später also, der Wagen glüht in der Garage aus, läutet das Telefon erneut. Clara ist dran, Rotz und Wasser. »Wieso holst du mich nicht, Papa?«
Mag ja sein, dass es nicht irre ist, dass es zwei Claras in einer Schule gibt. Aber dass sich beide zur gleichen Zeit befreien lassen müssen, weil ihnen schlecht ist, ist schon ein Ding. Einmal mehr werfe ich mich ins Auto und zische mitWarp-Antrieb durch Hamburg. Als ich mit quietschenden Reifen vor der Schule halte, steht meine Tochter schon da und sieht mich mit vorwurfsvollem Blick an. Daneben ein Mädchen, das ich nicht kenne, das den beleidigten Augenaufschlag aber genauso drauf hat. Von der entgegengesetzten Seite rast ein anderer Wagen auf uns zu, bremst wie Sebastian Vettel beim Boxenstopp. Heraus springt ein Mann in mittleren Jahren, der aussieht, als hätte er unter der Brücke geschlafen. »Clara!«, ruft er und läuft auf die Mädchen zu. Ich will schon einschreiten, da geht mir ein Licht auf, dass das andere Mädchen die andere Clara ist. »Guten Tag, Herr Richter«, sagt er atemlos, als er an mir vorbeihechtet. »Guten Tag, Herr, äh …«, sage ich. »Dings-Bröger«, nuschle ich dann und nehme meine Tochter an die Hand. »Komm, Schnuffi.« Ich lege ihr den Arm um die Schulter und schiebe sie zu meinem Wagen. Sie schüttelt meine Hand ab und wirft sich schmollend auf den Rücksitz.
»Was ist denn los, Mäuschen?«, frage ich, als ich mich wieder hinters Steuer geklemmt habe. »Wie geht es dir?«
»Scheiße«, sagt sie.
»Aber Clara«, erziehe ich. »Das sagt man nicht.«
»Weißt du, was man nicht sagt? Nenn mich nicht Schnuffi, wenn andere dabei sind.«
»Oh, entschuldige.« Schon klar. Kinder. Es war ihr peinlich. Ich muss ein Grinsen unterdrücken.
»Ja, ja, amüsier dich nur«, faucht sie, und ich frage mich, ob sie sich den Spruch von meiner Frau abgehorcht hat. »Ab morgen werden mich in der Schule alle Schnuffi nennen. Das ist megapeinlich! Und du bist schuld!«
So geht das weiter, bis wir zu Hause sind. Dass ihr schlecht ist, hat sie längst vergessen, als sie die Kinderzimmertürhinter sich zuknallt und ihren Computer hochfährt, um irgendwelche sinnfreien Spiele zu spielen oder sich gleich mal auf Facebook einzuloggen. Ich habe inzwischen meinen zweiten Telefontermin auch verpasst.
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Tagebucheintrag: 28. August,
21:50 Uhr – im Auto
In den letzten sechs Wochen wurde ich viermal geblitzt. Da waren einige heftige Tempoüberschreitungen und zwei rote Ampeln dabei. Ich frage mich, warum es so verdammt lange dauert, bis die Behörden endlich meinen Führerschein einziehen. Die sind doch sonst mit ihren Mahnbescheiden so schnell!
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