Furien im Finstern
Führungsschiene, kam zur Veranda, stieg die kleine Treppe hoch und hielt inne. Die Tür war fest verschlossen. Sicher das Werk der Polizei. Bertha überlegte, ob wohl abgeschlossen wäre, drückte dann die Klinke. Die Tür war abgeschlossen.
Mit der Taschenlampe leuchtete sie in das Schlüsselloch. Kein Schlüssel von innen. Die Polizei mußte entweder ein Sicherheitsschloß angebracht oder die Tür zugezogen und von außen abgesperrt haben.
Bertha zog einen Bund Dietriche aus ihrer Handtasche. Sie wußte: ein gefährlicher Besitz, aber ein Besitz, der oft sehr gelegen kam. Und Bertha war nicht der Typ, der lange zögerte, wenn es darauf ankam.
Sie schob den ersten Dietrich ins Schloß. Der vierte öffnete die Tür.
Bertha stieß die Tür auf. Sie blieb stehen, um abzuwarten, ob das dunkle Innere des Hauses irgendeine Gefahr verbarg.
Totenstille. Die Taschenlampe traf nur in Leere. Fast automatisch richtete sie den Lichtkegel auf den Boden und schwang ihn herum auf der Suche nach den finsteren roten Flecken auf dem Teppich. Sie waren nicht entfernt worden.
Bertha schaltete die Taschenlampe aus. Ihre eiskalten Finger fummelten an dem Schalter herum. Sie spürte, daß sich ihr irgend etwas näherte. Dann schienen sich knochige Finger in ihren Hals zu krallen.
Rasend vor Wut trat Bertha um sich. Sie stieß mit der linken Faust und versuchte mit der Rechten, das Handgelenk ihres Angreifers zu packen.
Ihre Hände trafen ins Nichts. Die Tritte warfen sie aus dem Gleichgewicht. Sie wußte, daß sie einen halberstickten Schrei ausgestoßen hatte.
Der Schrei brachte sie zur Besinnung. Das Ding an ihrem Hals verschwand plötzlich. Sie vernahm ein flatterndes Geräusch und erblickte eine ungestalte Form, die an ihr vorbeihuschte und in die Dunkelheit tauchte.
»Freddie!« murmelte Bertha. »Die verdammte Fledermaus!«
Sie drehte sich um und untersuchte das Zimmer mit dem Strahl ihrer Taschenlampe. Sie wollte sich überzeugen, daß keine weiteren Todesfällen mehr im Hause aufgebaut waren, in Erwartung des Blinden. Dabei mußte sie mit äußerster Vorsicht Vorgehen, um nicht in dem fahlen Licht in irgendeinen Faden zu stolpern und einen tödlichen Schuß auszulösen.
Es fiel ihr jetzt leicht, sich auszumalen, was in der vergangenen Nacht vorgefallen war. Sie sah Bollman in das Haus eilen, ängstlich bedacht, von niemandem geschnappt zu werden, bevor er die Spieldose gefunden hätte und wieder aus dem Haus wäre — den Stoß gegen den Faden, der die Falle auslöste...
Das Haus war einfach aber bequem eingerichtet. Kosling besaß fünf oder sechs komfortable Sessel, offensichtlich für seine Freunde, wenn sie ihn besuchen kamen. Diese Sessel, alle mit Kissen und sehr bequem, waren in einem Halbkreis um das Fenster gestellt. An der Wand neben dem Fenster stand ein Bücherregal, hinter dessen Glastüren nicht ein Buch zu finden war. Auf dem Tisch lag nicht eine Zeitschrift. Auf einem Beistelltisch, drüben neben dem Fenster... Berthas Augen saugten sich gierig an dem Tisch fest. Sie näherte sich ihm. Ihre Hände griffen nach der Spieldose. Als der Blinde sie ihr auf der Straße gezeigt hatte, da hatte sie ihr nur einen flüchtigen Blick gewidmet. Jetzt studierte sie die Spieldose mit großer Konzentration und mikroskopischer Genauigkeit.
Das Licht ihrer Taschenlampe zeigte Bertha, daß die Spieluhr aus glattem, poliertem Rosenholz hergestellt war. Auf dem Deckel befand sich ein Ölgemälde, eine Landschaft, in der Tat. Die Rückseite schmückte das Porträt einer sehr schönen jungen Frau, etwas üppig, was die Kurven betraf, nicht ganz dem heutigen Ideal entsprechend, aber sicher das Schönheitsvorbild einer vergangenen Epoche.
Vor langer Zeit mußte die Farbe überlackiert worden sein, aber jetzt gab es Stellen, wo Lack und Farbe abblätterten. Darunter tauchte die Maserung des Holzes in feinstem Seidenglanz auf. Der erstklassige Zustand der Spieldose ließ vermuten, daß sie seit langer Zeit als Familienerbstück gehegt und mit großer Sorgfalt behandelt worden war. Kein Wunder, daß sie zum höchstgeschätzten Besitztum des wohlhabenden Blinden geworden war. Bertha untersuchte das Äußere sehr sorgfältig und hielt dabei ihre Taschenlampe etwa zwei Zoll von der Oberfläche entfernt. Sie fand kein Markenzeichen oder Etikett. Enttäuscht hob Bertha den Deckel. Fast augenblicklich erklangen die »Bluebells of Scotland« und erfüllten den Raum mit wohlklingender Anmut.
Unter dem Deckel fand Bertha schließlich,
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