FutureMatic
den er in Tongs Korridor gesehen hatte: eine Art staubdurchwehter, düsterer Hof, der von oben durch ein merkwürdiges, trübes Licht erhellt wurde.
Diesmal konnte er jedoch nach oben schauen. Er schien auf dem Boden eines riesigen, leeren Luftschachts zu stehen, der sich wie eine Schlucht zwischen Wänden aus einem Dunkel von eigentümlicher Beschaffenheit erhob.
Hoch oben ließ ein Dachfenster, das vermutlich die Ausmaße eines großen Swimmingpools hatte, schmieriges Sonnenlicht durch jahrzehntelange Rußablagerungen und etwas anderes herein, was er auf diese Entfernung für Haufen aus festerem Material hielt. Schwarze Eisenstreben formten längliche Rechtecke, offen-163
bar Scheiben aus archaischem Sicherheitsdrahtglas, von denen einige wie von Schüssen durchlöchert waren.
Als er den Kopf wieder senkte, waren sie da. Zwei Personen, die auf seltsamen, chinesisch wirkenden Stühlen saßen, die vorher nicht da gewesen waren.
Einer von ihnen war ein dünner, blasser Mann in einem dunklen Anzug, der sich keiner bestimmten Zeit zuordnen ließ. Seine Lippen wäre affektiert gespitzt. Er trug eine Brille mit schwerem, rechteckigem schwarzem Plastikgestell und einen Fedora, wie ihn Rydell nur aus alten Filmen kannte. Der Hut saß genau waagrecht auf seinem Kopf, vielleicht zwei, drei Zentimeter über dem schwarzen Brillengestell. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen, und Rydell sah, dass er schwarze Halbschuhe mit Flügelkappen-muster trug. Er hatte die Hände im Schoß gefaltet.
Der andere präsentierte sich in viel abstrakterer Form: eine nur andeutungsweise menschliche Gestalt; die Stelle, wo der Kopf hätte sein sollen, war von einem Hof aus einer zyklischen und nicht enden wollenden Explosion von Blut und Gewebe umgeben, als wäre das Opfer eines Heckenschützen im Augenblick des Kugeleinschlags aufgezeichnet und auf eine Endlosschleife gelegt worden. Der Halo aus Blut und Hirn flimmerte und erreichte nie so ganz einen stabilen Zustand. Darunter ein offener Mund, weiße Zähne, entblößt in einem ewigen stummen Schrei. Der Rest – außer den Händen, die sich wie in Todesqual um die glänzenden Armlehnen des Stuhls klammerten – schien sich beständig in einem schrecklichen, heißen Wind aufzulösen. Rydell dachte an Schwarzweißbilder vom Bodennullpunkt, an einen ato-maren Hurrikan in Zeitlupe.
»Mr. Rydell«, sagte der mit dem Hut, »danke, dass Sie gekommen sind. Sie können mich Klaus nennen. Das hier« – eine Geste mit einer blassen, papierenen Hand, die sofort wieder in seinen Schoß zurückkehrte – »ist der Hahn.«
Der namens »Hahn« bewegte sich überhaupt nicht, wenn er sprach, aber der offene Mund wurde in raschem Wechsel scharf 164
und wieder unscharf. Seine Stimme war entweder die Sound-collage von Tong oder eine ganz ähnliche. »Hören Sie mir zu, Rydell. Sie sind jetzt verantwortlich für etwas von höchster Bedeutung, von größtmöglichem Wert. Wo ist es?«
»Ich weiß nicht, wer ihr seid«, erwiderte Rydell. »Ich sage euch überhaupt nichts.«
Keiner der beiden reagierte, dann hustete Klaus trocken. »Die einzige richtige Antwort. Es wäre klug von Ihnen, wenn Sie diese Position beibehielten. In der Tat, Sie haben keine Ahnung, wer wir sind, und falls wir Ihnen später noch einmal erscheinen sollten, könnten Sie nicht wissen, ob wir wirklich wir wären.«
»Warum soll ich euch dann zuhören?«
»In Ihrer Situation«, sagte der Hahn, und seine Stimme schien in diesem Moment hauptsächlich aus dem Geräusch von split-terndem Glas zu bestehen, das durch Modulation eine gewisse Ähnlichkeit mit einer menschlichen Stimme bekam, »wären Sie gut beraten, wenn Sie jedem zuhören würden, der mit Ihnen sprechen möchte.«
»Aber ob Sie auch glauben, was man Ihnen erzählt, ist eine andere Sache«, ergänzte Klaus, zupfte penibel seine Manschetten zurecht und faltete wieder die Hände.
»Ihr seid Hacker«, sagte Rydell.
»Eigentlich könnte man uns eher als Botschafter bezeichnen«, erwiderte Klaus. »Wir vertreten« – »ein anderes Land.«
»Das heißt«, sagte der sich permanent auflösende Hahn, »na-türlich nicht in einem überholten, rein geopolitischen Sinn –«
»Hacker«, unterbrach Klaus, »hat gewisse kriminelle Konnota-tionen –«
»Die wir nicht akzeptieren«, fiel ihm der Hahn ins Wort, »da wir schon längst eine autonome Realität errichtet haben, in der –«
»Sei still«, sagte Klaus, und Rydell hatte keinen Zweifel, wer von beiden die größere
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