Gabriel oder das Versprechen
wir
bisher eventuell übersehen haben. Alles, was euch auffällt, kann
wichtig sein. Also konzentriert euch!«
Als ein paar Minuten später
allgemeines Gemurmel einsetzte, war das für Fassbinder das Zeichen,
dass alle die Blätter nochmals gründlich studiert hatten. »Fällt
euch irgendwas auf?«
Dass sich ausnahmsweise niemand
meldete, war auf die knisternde Spannung zurückzuführen. Niemand
wollte sich eine verbale Breitseite einfangen. »Schaut mal auf das
zweite Blatt von rechts!« startete Fassbinder einen neuen
Versuch.
»Die Namen und Funktionen der
Personen im Umfeld von ›Opfer 1‹ und ›Opfer 2‹ sind genannt, nicht
aber die Namen der Opfer selbst«, meldete sich Marc, etwas leiser
als sonst.
»Sehr richtig bemerkt!« sagte
Fassbinder mit ironischem Unterton. »Und warum nennen wir deren
Namen nicht? Aus Pietät? Oder gibt es andere Gründe?« kam es etwas
schroff zurück.
Alle merkten ihrem Chef unschwer
seinen Ärger an. Seine Stimme klang nach drohendem Gewitter. Er war
kein Künstler der Verstellung.
»Nun sagen Sie schon, Chef, was
haben wir verbockt?« wagte Marc einen Vorstoß selbst auf die Gefahr
hin, dass er jetzt allein den Rüffel würde einstecken müssen. Aber
Fassbinder schätzte es, wenn seine Mitarbeiter Mut bewiesen. Und
diese Frage zu stellen, war in der augenblicklichen Situation
mutig, wie er wusste. Also beruhigte er sich wieder und antwortete
in normaler Tonlage. »Wir … », und er benutzte bewusst den Plural,
»wir haben das Einfachste übersehen. Voll Elan haben wir uns darauf
gestürzt, Parallelen zwischen dem Mord in Gerresheim und den Taten
in Wuppertal zu finden. Wir haben die Dateien abgeglichen und die
Namen derer herausgefiltert, die sowohl die Düsseldorfer als auch
die hiesigen Speed-Date-Partys besucht haben. Was wir nicht gemacht
haben, ist der Abgleich der Dateien mit den Namen der
Ermordeten.«
Eine Nadel hätte man zu Boden fallen
hören können. Es war mucksmäuschenstill.
»Das heißt«, meldete sich erneut
Marc zu Wort, »die Opfer waren Kundinnen des Bistros ›Vera &
Friends‹?«
»Exakt!«
»Und was ist mit der Ermordeten aus
Gerresheim?«
»Das musst du noch prüfen. Wo hast
du die Disketten mit den Dateien?«
»In meinem Büro«, antwortete Marc.
»Aber ich habe die Dateien hier auf meinem Laptop abgespeichert.
Einen Moment.«
Er gab den Namen ›Jadwiga
Wieniawski‹ ein und glich ihn mit der Düsseldorfer Datei
ab.
»Treffer«, kam es eher kleinlaut als
triumphierend über seine Lippen. »Ja, sie hat die Speed-Date-Party
am 8. April 2006 in Düsseldorf besucht.« Sofort sahen alle auf das
linke Flipchart, auf dessen Blatt das Datum zweimal stand, einmal
unter dem Namen ›B. Lagier‹ und ein zweites Mal unter dem Namen ›M.
Zeitz‹.
»Also gibt es doch eine Verbindung
zwischen dem Gerresheim-Mord und den Morden in Wuppertal«,
konstatierte Fassbinder. »Völlig untypisch für einen Serienmörder,
mit dem wir es offensichtlich zu tun haben, ist die große
Zeitspanne zwischen den Taten … über drei Jahre.« Es herrschte
tiefe Betroffenheit. Man war ein Stück weiter, eigentlich ein
Erfolg. Aber alle wussten auch, dass es jetzt bereits drei Morde
waren und weitere folgen könnten. »Dann schau doch jetzt bitte noch
mal nach, wann Maren Trautmann und Karen Friedrichs die
Speed-Date-Partys hier in Wuppertal besucht haben und ergänze die
Daten auf dem Flipchart!«
Nachdem er die Daten in seinem
Laptop gefunden hatte, ging Marc nach vorne und schrieb unter die
Namen der Speed-Date-Besucher aus der Foto-Mappe ›Maren Trautmann
(16.01.2009)‹ und ›Karen Friedrichs (13.03.2009)‹. Mit Bedacht
hatte er dieses Blatt ausgewählt, denn sofort fiel allen die
dreifache Identität eines Datums auf. Das konnte kein Zufall sein!
Am 13. März waren sowohl das spätere Opfer Karen Friedrichs als
auch die beiden Männer, die vor drei Jahren schon einmal gemeinsam
eine Veranstaltung in Düsseldorf besucht hatten, Teilnehmer in
Wuppertal.
»Das ist ein echter Hammer«, entfuhr
es Fassbinder. »Jetzt lasst noch einmal alle Daten, Namen und
Fakten auf euch wirken. Fällt jemandem noch irgendwas auf, was
weniger augenfällig ist als diese übereinstimmenden Daten?« Äußerst
konzentriert lasen Fassbinder und seine Mitarbeiter sich die
Notizen auf den verschiedenen Blättern nochmals schweigend
durch.
Phillip meldete sich als Erster.
»Svea hat«, dabei wandte er sich an die neben ihm sitzende
Polizeipsychologin, »in einer der
Weitere Kostenlose Bücher