Gabriel
Ausdruckslos schaute der Fremde ihn an, während die schöne Feder das Blut einsaugte und sich ihr Tintenkanal dunkelrot füllte.
Sobald er voll war, entfernte Sam die Spitze aus der Ader und ließ Daniel los, der entkräftet zurücktaumelte, kaum fähig, sich vor maßloser Erleichterung auf den Beinen zu halten, von den höllischen Schmerzen abrupt erlöst. Nur das Handgelenk pochte noch ein wenig. Er legte die andere Hand auf die kleine Wunde und musterte den Fremden wachsam und mit neuem Respekt. »Was jetzt?«, stieß er heiser hervor.
Sam trat beiseite und gab den Blick auf ein Schreibpult frei, das hinter ihm stand, aus reich geschnitztem Holz, mit Symbolen und Buchstaben verziert, die Daniel unbehaglich stimmten. Auf der Platte lag ein Stück Pergament, trotz des Regens trocken und unversehrt.
Daniel ging um Juliettes Leiche herum zu dem Pult. Verwirrt musterte er das leere Blatt. »Was ist das?«
»Ihr Vertrag, Xathaniel.« Als Sam mit der rechten Hand auf das Dokument wies, funkelte seine teure Armbanduhr. Auf dem hellen Pergament erschienen gleichmäßige Schriftzüge. Daniel entzifferte nur einzelne Wörter. Den Zusammenhang verstand er nicht. Kalter Schweiß durchnässte seine Kleidung ebenso wie der Regen.
Nun reichte ihm der Fremde die rubinrot und gespenstisch schimmernde Feder. Sam, dachte Daniel. Eine Abkürzung. Welchen Namens? In seiner Erinnerung regte sich etwas. Vor lauter Angst wurde ihm schwindlig. Eins stand jedenfalls fest: eine Macht, wie dieser Mann sie auf ihn ausübte, hatte er nie zuvor gespürt. Wenn ihn jemand vor dem General schützen konnte, dann Sam.
Also habe ich keine Wahl. Mit bebenden Fingern ergriff er die Feder. Die Wunde an seinem Handgelenk schmerzte stärker. Als zwei dicke schwarze Linien am unteren Rand des Pergaments auftauchten, neigte er sich über das Pult, näherte die Federspitze der ersten Linie und schrieb seinen Namen.
29
Selbst wenn sie es gewollt hätte, hätte Juliette sich nicht bewegen können. Wärme und Wohlbehagen umfingen ihren Körper wie ein Kokon, lähmten und beruhigten sie gleichermaßen. Dass der Schuss losgegangen war, wusste sie. Aber sie hatte keine Schmerzen empfunden, nur eine wohltuende innere Ruhe, als wäre sie von Morphium high gewesen.
Samael, dachte sie jetzt, während sie dem Gespräch der beiden Männer lauschte, die zu beiden Seiten ihrer reglosen Gestalt standen.
So schnell war es geschehen. Daniel hatte sie in das zweite Auto gesetzt und erklärt, er würde ihr Blut brauchen. Und dann war eine Stimme in ihrem Kopf erklungen, die sie überall erkannt hätte. Juliette. Tief und kraftvoll und von jener berückenden Sinnlichkeit, die jeder Frau den Atem nahm. Sam war die personifizierte männliche Potenz. Sobald er in ihr Gehirn eingedrungen war, hatte sie seine Nähe überdeutlich wahrgenommen.
Leise hatte er gelacht, und der betörende Laut hatte in ihrer Seele widergehallt. Sie hatte die Augen geschlossen. Als sie wieder aufgeblickt hatte, hatte Sam vor dem Wagen auf der Straße gestanden.
Daniel hatte das Lenkrad zur Seite gerissen, um ihm auszuweichen. Dann hatte sich alles ringsum in ein Chaos verwandelt. Trotzdem hatte sie sich nicht gefürchtet, denn seit Sam telepathisch ihren Namen ausgesprochen hatte, war sie von dieser inneren Ruhe erfüllt. Daniel hatte sie auf der Fahrerseite aus dem Auto gezerrt, und sie hatte genug Willenskraft für den Versuch aufgebracht, sich loszureißen, wenn auch nur halbherzig. Denn sie hatte gewusst, dass es keinen Sinn haben würde. Außerdem war es ihr egal gewesen, weil Sams anthrazitfarbene Augen auf sie wie eine Droge gewirkt hatten.
Zwischen ihren Rippen hatte sie die Mündung von Daniels Waffe gespürt, einen bohrenden Schmerz. Gelassen hatte sie sich das Geschoss in der Kammer vorgestellt und sich gefragt, wie es sich in ihrer Brust anfühlen würde. Vielleicht war dies die einzige Methode, die ihren endgültigen Tod bewirken würde? In keinem ihrer zahlreichen Leben war Juliette erschossen worden.
Wenig später hatte sie eine Antwort erhalten, die sie nicht erwartet hatte. Der Schuss hatte sich aus der Waffe gelöst. Ihr tat nichts weh, doch sie verlor die Kontrolle über ihren Körper. Mit geschlossenen Augen war sie zusammengebrochen und hatte etwas Nasses gespürt, das ihre Kleider und den Boden unter ihr tränkte. Sam hatte sie in seiner Gewalt. Eindeutig. Aber seltsamerweise hatte ihr die Existenz eines Wesens, das sie so ganz und gar beherrschte, keine Angst
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