Gabriel
eingejagt.
Alles wird gut, hatte er ihr versprochen.
Offenbar war anschließend ein Deal ausgehandelt worden. Die beiden Männer hatten sich entfernt, ein kurzes Schweigen war entstanden. Irgendwo in der Nähe hatte es geblitzt. Sie hatte sich die Ohren zuhalten wollen, weil es donnern würde. Doch sie hatte sich nicht rühren können. Krachend hatte der Donner den Asphalt und ihren Körper erschüttert.
Mit gesenkten Lidern wartete sie nun, bis sie Schritte hörte. Sie öffnete die Augen und sah Samael an ihrer Seite knien. Blinzelnd verlor sie sich in seinem stürmischen Blick. Wie schön er ist!
»Wie fühlen Sie sich?« Mit sanften Fingern strich er ihr das Haar aus dem Gesicht.
»Gut.« Alles schien so unwirklich. Als sie die Stirn runzelte, lachte er, reichte ihr eine Hand und half ihr, sich aufzusetzen. Sie schaute an sich herab und nahm an, sie würde Blut sehen. Doch ihre Kleider waren nur ein bisschen nass vom Regen. Kein Blut. Keine Einschussstelle. Weder in den Stoffen noch in ihrem Körper. Sie tastete ihre Brust ab, suchte vergeblich nach der Wunde. Zitternd atmete sie auf und wich Sams Hand nicht aus, die ihre Wange berührte.
»Hat er Ihnen wehgetan?«
Als er den Adarianer erwähnte, sah sie sich um. Anscheinend war sie mit Sam allein auf der Straße. Sie entdeckte nur zwei Autos, in einigem Abstand voneinander. Keine Spur von Daniel. Sie erinnerte sich an sein Verhalten. Er hatte das Heim angezündet. Hilflose Kinder waren in den Flammen gefangen gewesen. Aber ihr hatte er nichts zuleide getan, sondern sie stattdessen mit Traubenzucker gestärkt. Plötzlich bezweifelte sie sogar, dass er auf sie geschossen hatte. »Nein«, antwortete sie.
»Dann werde ich ihm erlauben, am Leben zu bleiben.« In Sams Augen schimmerten ernsthafte Gefühle. Er reichte ihr wieder seine Hand, stand auf und zog sie mit sich hoch. Mühelos kam sie auf die Beine, ihre Schwäche war verflogen. Samael hatte ihr Kraft gegeben. Auf welche Weise, wusste sie nicht. Was in den letzten zehn Minuten ihres Lebens geschehen war, konnte sie nicht einmal erahnen.
Groß und stark, von der Aura seiner Macht umgeben, stand Sam vor ihr. Sie roch einen Hauch seines Eau de Cologne, das die Wirkung seiner Nähe noch steigerte und seltsame Emotionen in ihr weckte. Irgendwie vertrieb er andere Gedanken aus ihrem Gehirn, ihre Sorge, ihre Angst.
Was genau wollte er von ihr? »Warum sind Sie hier?«, hörte sie sich unsicher fragen.
»Eine sehr gute Frage«, flüsterte er und streichelte ihre Wange. »Und eine wichtige. Falls Sie meinen, warum ich mich jetzt auf dieser Straße befinde – sagen wir einfach, ich hatte mich schon seit einiger Zeit für die Fähigkeiten eines gewissen Adarianers interessiert.«
Hinter Daniel war er her gewesen? All der Aufwand nur, damit er Daniel in die Finger bekam? Wieso gab er sich so viel Mühe, um einen Adarianer in seine Gewalt zu bringen, der sich unsichtbar machen konnte? Samael erschien ihr viel mächtiger. Und darin lag der Grund ihrer Verblüffung. Er verwirrte sie in zu vielen Punkten.
»Warum sind Sie hier! « Sie wies auf die Umgebung.
»Wie gesagt, eine gute Frage.« Er schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. »Leider kann ich sie nicht beantworten.«
Sie erinnerte sich an Liliths Worte. Konnte er nicht? Oder wollte er nicht?
»Nur eins möchte ich betonen«, fügte er hinzu, »die Welt ist gefährlich. Besonders für Sternenengel.« Er neigte sich vor, umfasste ihre Schultern, drückte einen zarten Kuss auf ihre Stirn. Dann näherte er seine Lippen ihrem Ohr. Von Schwindelgefühlen fast überwältigt, schloss sie die Augen. »Halten Sie Ihre fünf Sinne beisammen, Juliette. Beherzigen Sie die Lektionen der Geschichte.«
Nun wich er ein wenig zurück, und sie öffnete die Augen.
»Juliette!«
Der Ruf eines Mannes ließ sie in Sams sanftem Griff zusammenzucken. Als sie ihm den Rücken kehrte, sah sie, wie Gabriel, Michael und Uriel mit übernatürlicher Geschwindigkeit einen Hang herabstürmten.
Zuerst traf Gabriel bei ihr ein. Ehe sie reagieren konnte, riss er sie an seine heiße Brust. »O Gott, Juliette.« Abrupt verstummte er und hielt sie einfach nur fest. Dann fragte er: »Was um alles in der Welt machst du hier draußen?« Er schob sie auf Armeslänge von sich und musterte sie von Kopf bis Fuß.
Statt zu antworten, blinzelte sie. Wie sollte sie ihre Erlebnisse in Worte fassen? Verstört schaute sie über ihre Schulter zu Sam. Aber sie sah ihn nicht. Sie war allein mit den zwei
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