Gabriel
immer rechnen. Findet ihr nicht auch?«
»Ja, Mike hat recht«, entschied Max. »Vor ein paar Monaten hat Sam uns auf dem Schlachtfeld in Texas geholfen. Sicher nur, um uns noch mehr zu verwirren.«
»Hättest du mich bloß gewarnt!« Gabe sah Azrael an, der in seinem steinernen Gemach am Kaminsims lehnte, die Arme lässig vor der kraftvollen Brust verschränkt. Vor zwanzig Minuten war der Vampir von seiner Mahlzeit zurückgekehrt. Ohne eine Miene zu verziehen, starrte er Gabriel an. Aber seine goldenen Augen glühten.
»Hör auf, Gabe!«, mahnte Max. »Ganz egal, ob Az dir von dem Vertrag hätte erzählen können oder nicht – du hast ihm keine Chance gegeben.«
»Und ihr behauptet immer, ich hätte ein hitziges Temperament.« Uriel erhob sich von dem steinernen Altar, auf dem Azrael zu schlafen pflegte, und sah sich um. »Ich kann mich noch gut erinnern.«
»Jungs, wir müssen uns konzentrieren.« Ungeduldig musterte Ellie einen Erzengel nach dem anderen. »Wie wir aus Erfahrung wissen, wird Sam unserem Sternenengel nichts antun. Und nur er kann Juliette entfuhrt haben. Also ist sie in Sicherheit.«
»Aber er will einen Sternenengel für sich gewinnen«, warf Max ein.
»Ja, natürlich. Trotzdem würde er sich niemals an Frauen vergreifen, das ist nicht sein Stil.« Achselzuckend schaute sie zu Boden. »Mag er auch raffiniert und heimtückisch sein – er hat mich immer wie ein Gentleman behandelt, und er wird Juliette nichts antun. Er hat etwas anderes vor.«
»Zum Beispiel?«, erkundigte sich Michael.
»Keine Ahnung.« Ellie schüttelte den Kopf. »Finden wir erst einmal heraus, wo Jules ist. Dass er sie zu sich geholt hat, bezweifle ich.«
»Warum?«, fragte Uriel.
»Weil sie in der Defensive ist«, mischte Max sich ein. »Sam ist nicht dumm. Wenn sie schlecht von ihm denken würde, hätte er ein Problem. Deshalb hat er sie anderswohin gebracht, wo sie sich beruhigen soll.«
»Genau«, stimmte Ellie zu. »Und er will euch klarmachen, dass ihr den neuen Sternenengel nicht gegen ihn aufhetzen dürft. Im Moment ist ihm das am wichtigsten.«
»Was seine kleinen Geheimnisse betrifft, ist er sehr empfindlich, nicht wahr?«, murmelte Uriel. Nur zu gut erinnerte er sich an seinen eigenen Versuch, Ellie über Samaels wahre Identität zu informieren.
Gabriel beobachtete alle Anwesenden. Wahrscheinlich hatten sie recht, und seinem Sternenengel war nichts Schlimmes zugestoßen. Sam mochte ein Schurke sein, aber er neigte nicht zur Gewalttätigkeit gegen Frauen.
Also war Juliette in Sicherheit.
Wenn sie lange genug nachdachte, würde sie vielleicht glauben, was ihr seine Brüder und er selbst erzählt hatten. Gewiss, er hätte lieber etwas mehr Zeit mit ihr verbracht, und er war ein Idiot, weil er nicht mit einer abrupten Entführung gerechnet hatte. Wie Michael betont hatte: Wenn’s um Sam ging, musste man auf alles gefasst sein. Das lernten sie allmählich.
Er wollte Az bitten, Juliettes Aufenthaltsort zu ermitteln. Aber er fürchtete, im Moment war der Vampir nicht gut auf ihn zu sprechen. Zugegeben, er hatte sich schlecht benommen. Mit aller Welt legte er sich an. Diese ganze Sache machte ihm zu schaffen. Zweitausend Jahre über war es ihm stets gelungen, Krisen cool zu meistern. Und jetzt verstand er nicht, warum ihn eine so kleine Person, sein Sternenengel, um den Verstand bringen konnte.
»Okay, ich tu’s.« Plötzlich richtete Azrael sich auf. »Und danach muss ich mich ausruhen.«
Weil Gabriel nichts zu sagen wusste, schwieg er. Seine Dankbarkeit konnte er ohnehin nicht in Worte fassen.
Forschend schauten Michael, Uriel und Max von Gabe zu Az. Nur Eleanore schien nicht zu staunen, sondern hatte offenbar längst ihre Schlüsse gezogen. Sie war klug. Uriel hatte wirklich Glück.
Bald merkten auch die anderen, was geschah, denn Az ließ sich elegant auf den Teppich sinken, der vor dem Kamin auf dem Steinboden lag, und starrte in die Flammen. Wenn er jemanden ortete, musste er dafür nichts sehen. Aber offenbar zog er es vor, sich auf diese Weise zu konzentrieren. »Sie ist in Luskentyre«, verkündete er ein paar Sekunden später. »In dem Cottage, das sie gemietet hat.« Mit einer fließenden Bewegung stand er auf und hob eine Hand, um das Feuer zu löschen. Gleichzeitig loderten Flammen aus den Wandleuchtern. »Geht jetzt. Meine Schlafenszeit ist schon längst angebrochen.« Lächelnd entblößte er seine Reißzähne.
Gabriel schaute den anderen nach. Langsam folgte er ihnen. Bevor er den
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