Gaelen Foley - Amantea - 01
sollte, doch seltsamerweise hatte er keineswegs den Eindruck, dass sie vorgehabt hatte zu schreien.
Als zwei Schwadronen auf der Jagd nach dem reiterlo- sen Pferd die Straße entlangdonnerten, sah Lazar sie war- nend an. Das Hufgetrappel übertönte das ferne Rauschen eines Wasserfalls. Wachsam beobachtete er die Straße in Richtung der Stadt. Vermutlich würde bald Verstärkung nahen.
„Kommen Sie.“
Sie standen beide auf. Allegra schob ihre schlanken, wei-
chen Finger durch seine rauen, schwieligen, und er führte sie durch den dunklen Wald. Sie folgten dem Geräusch des Wasserfalls. Sobald sie eine kleine Anhöhe überwun- den hatten, wusste Lazar, dass sie sich nun in Sicherheit befanden. Die Straße war nicht mehr zu sehen. Mit jedem Schritt wurde das Rauschen des Wassers lauter.
Als er hörte, wie sie auf einmal leise vor Schmerz auf- schrie, drehte er sich um und sah, dass sich eine ihrer Haar- strähnen in einem Dornenbusch verfangen hatte. Er zog sein Messer und wollte sie gerade befreien, als sie empört dazwischenfuhr.
Wagen Sie es ja nicht!“
Überrascht sah er zu ihr hinab. Sie blickte ihn heraus- fordernd an.
„Entführen Sie mich, wenn es sein muss. Aber wagen Sie ja nicht, mein Haar abzuschneiden!“
Er vermochte kaum zu verstehen, warum sie über etwas so Nebensächliches in einer solchen Situation überhaupt ein Wort verlieren konnte. Doch dann fiel ihm wieder ein, was er mit ihr bei Sonnenaufgang vorhatte. Ein Schuld- gefühl überkam ihn, und er dachte: Das ist das Mindeste, was ich für sie zu tun imstande bin.
Vorsichtig löste er ihr Haar aus dem Dornenstrauch. Sie stand geduldig wartend da. Sie hatte den Kopf nach hin- ten gebeugt, und ihr Gesicht wurde vom Mond beschie- nen. Lazar machte die letzte Strähne los und wandte sich ab.
„Danke“, sagte sie und errötete. „Wie heißen Sie eigent- lich?“
„Keine Fragen“, erwiderte er scharf, denn ihr forscher Tonfall ärgerte ihn. Diesmal hielt er ihre Hand etwas locke- rer, wobei er sich noch immer der Weichheit ihrer Haut bewusst war. Schließlich kamen sie an der Lichtung an, wo der Wasserfall sich in einen Teich ergoss.
Lazar drehte sich zu ihr um und sah, dass sie den kleinen See betrachtete.
„Sie könnten zumindest so tun, als ob Sie Angst hätten“, brummelte er.
„Die habe ich auch“, versicherte sie ihm.
Er starrte sie an und hätte ihr am liebsten einen Kuss auf den hübschen Mund gegeben, der sich zu einem kecken Lächeln verzog.
Ich kann ihr unmöglich das Leben nehmen. Dann er- innerte er sich an seinen Vater und wie sie sich wie die Hunde auf einen verletzten Bullen auf ihn gestürzt hatten. Vor Lazars Augen hatten sie ihn immer wieder mit ihren Dolchen durchbohrt und Pips Kehle durchschnitten, als wäre er ein kleines Kalb – sein kleiner Bruder, der erst acht Jahre alt gewesen war.
Lazar wandte sich unvermittelt ab und zog die Stiefel aus.
„Wollen Sie schwimmen gehen?“ fragte Allegra.
Schweigend trat er in den Teich und zog sie hinter sich her. In der freien Hand hielt er die Stiefel. Sie stieß einen kleinen Schrei des Protests aus, aber das Wasser war nicht tief und ging ihr zuerst nur bis zu den Schenkeln, dann bis zur Taille.
„Wohin wollen Sie?“
Er achtete nicht auf sie.
Sie wateten durch den Teich bis zum Wasserfall, wo er seine Stiefel auf einem Felsen abstellte. Fasziniert schaute Allegra zum Höhleneingang, der sich hinter dem Vorhang des herabstürzenden Wassers verbarg. Lazar kletterte an Land, drehte sich um, ließ sich auf ein Knie nieder und bot ihr seine Hand. Sie nahm sie, und als er Allegra hochzog und sie tropfnass vor ihm stand, überfiel ihn die Begierde mit aller Macht.
Warum, zum Teufel, hast du sie nicht getragen, Fiore?
Der weiße nasse Seidenstoff klebte an ihrem Körper und gab jede Linie und Kurve ihrer weiblichen Gestalt preis. Das helle Licht des Vollmonds verstärkte die Wirkung noch. Sobald sie direkt vor ihm stand, zog er seine rostige Taschenuhr hervor.
Es war Viertel nach eins, und somit nicht genug Zeit.
Finster runzelte er die Stirn und steckte die Uhr wieder ein. Selbst wenn er eine Woche hätte, würde er diese Frau nicht lieben. Er wollte nicht einmal darüber nachdenken. Vielleicht war er seiner Familie unwürdig, aber so weit war es noch nicht mit ihm gekommen.
Außerdem konnte nur ein menschliches Monster daran denken, eine Frau zu verführen, die er in wenigen Stun- den umbringen wollte. Doch war es richtig, dass ein so entzückendes
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