Gaelen Foley - Amantea - 01
zeigten ihr, dass sie viel größer war, als sie zuerst ange- nommen hatte.
„Was fordern Sie?“
Sein Knurren verriet ihr, dass sie auch das nicht wissen sollte.
„Was ist das für ein Ort?“ Sie vernahm ein ungedul- diges Aufstöhnen. „Keine weiteren Fragen! Wollen Sie vielleicht, dass ich Sie kneble?“
„Nein.“
Sie hörte, wie ein Feuerstein auf Stahl geschlagen wurde, und sah ein paar Funken in der Dunkelheit aufglühen. Einer von ihnen fing Feuer, und nach wenigen Momenten wurde die winzige Flamme größer und ließ bald die ganze Fackel hell auflodern.
Allmählich erhellte das Licht Lazars sonnengebräuntes Gesicht, seine dunklen Augen, die markanten Züge und die hochgezogenen Augenbrauen. Sie fragte sich, ob sie viel- leicht doch eher Angst vor ihm haben sollte, anstatt sich so angezogen von ihm zu fühlen. Doch kein Mann mit ei- nem so fröhlichen Lachen konnte wirklich grausam sein, und auch seine Hände waren so sanft.
Würde er sie jemals so berühren, wie Domenico es getan hatte?
„Sie wollen mir also nicht Ihren Namen sagen?“
„Ich werde es, wenn Sie dann endlich zu fragen aufhö- ren.“ Er lächelte wie ein Teufel, dem gerade etwas beson- ders Böses eingefallen war. „Mein Name ist ... Umberto.“
„Umberto? Nein!“ Sie lachte. „Umbertos stolpern immer über ihre eigenen Beine.“
Er warf ihr einen verwegenen Blick zu. „Paolo“, schlug er vor.
Sie schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall – zu gewöhn- lich.“
Er blies leicht auf die Fackel und beobachtete Allegra dabei. „Wie wäre es mit Antonio?“
„Möglich.“ Sie schaute auf seine geschürzten Lippen, als
er erneut ins Feuer blies und eine lodernde Flamme nach oben schoss. „Sie stolzieren wie ein Antonio. Aber wenn Sie ein echter Antonio wären, würden Sie Domenico nie- mals gesagt haben, dass ich unersättlich bin. Kein Anto- nio würde jemals zugeben, dass er eine Frau unbefriedigt zurückgelassen hat.“
„Ich habe auch nicht gesagt, dass Sie unbefriedigt wa- ren. Nur dass Sie mehr wollten.“ Seine Augen funkelten.
„Sie heißen nicht Antonio“, beharrte sie.
„Kommen Sie, chérie. Wir haben noch zwei anstren- gende Meilen vor uns.“
„Zwei Meilen?“ wiederholte sie und sah in die Dunkel- heit.
Als er die Fackel hob, wurde ihr auf einmal klar, dass sie sich tief unter der Erde befanden. Ungläubig starrte sie in die Finsternis, denn nun wusste sie, wo sie waren.
„Die Fiori-Tunnel“, flüsterte sie beeindruckt. „Anto- nio ... Umberto ... Wie haben Sie sie nur gefunden?“
Sie nahm ihm die Fackel aus der Hand und ging voran, wobei sie sich fassungslos umschaute.
„Sie scheinen überrascht zu sein, Signorina Monte- verdi“, erklang seine tiefe Stimme hinter ihr.
„Ich glaubte, diese Gänge gäbe es in Wirklichkeit gar nicht.“ Sie drehte sich zu ihm um, plötzlich ernst gewor- den. „Wir sollten nicht hier sein.“
„Warum nicht?“ Seine Augen glitzerten auf einmal seltsam.
„Diese Tunnel gehören den Fiori“, erwiderte sie mit einer ehrfürchtigen Stimme.
Gleichmütig zuckte er die Schultern. „Sie sind tot.“
„Zeigen Sie etwas mehr Respekt“, schalt sie ihn und bekreuzigte sich rasch.
Er zog die kohlschwarzen Augenbrauen hoch. „Ich glaube nur nicht, dass sie diese geheimen Gänge noch einmal benutzen werden.“
Sie stemmte eine Hand in die Hüfte, drehte sich zu ihm um und sah ihn streng an. „Schwören Sie, dass Sie diese Tunnel niemals Ihren Anhängern zeigen werden.“
„Ja“, erwiderte er trocken.
„Das ist gut. Sie sollten auch ein Geheimnis bleiben.“ Allegra ging zur Wand und ließ die Hand an dem schar- fen granitschwarzen Felsen entlanggleiten. Würde sie ihn
jemals so berühren können. „Armer Lazar“, sagte sie und seufzte.
„Was sagten Sie?“
Sie warf ihm rasch einen Blick zu, und etwas an seiner Haltung, dem stolz erhobenen Kinn und dem entschlos- senen Ausdruck seiner Augen ließ sie erstarren. Einen Moment glaubte sie beinahe, dass er ...
Nein, das war nicht möglich. Es war wieder einmal die Fantasie, die ihr Spiel mit Allegra trieb. Keiner würde einen Sprung aus der Höhe von zweihundert Fuß in die Tiefe eines von Haien verseuchten Meeres nahe den Klip- pen überleben. Schon gar nicht ein Junge, der erst dreizehn war. Nur weil sie seinen Leichnam niemals gefunden hat- ten, bedeutete das noch lange nicht, dass der Prinz noch lebte. Die Geschichten über den verschollenen Prinzen waren eben erfunden.
Wie diese Tunnel?
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