Gaelen Foley - Amantea - 03
silbergrau geworden. Für einen Herrscher war er erstaunlich bescheiden gekleidet.
Auf der anderen Seite des jungen Paares saß Königin Al- legra voll mütterlicher Anmut. Sie hielt den damals noch sehr kleinen Prinzen Leo im Arm. Sie war bekannt für ihr großmütiges Herz.
Daniela betrachtete sie wehmütig und fragte sich, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn ihre eigene Mutter noch am Leben gewesen wäre.
Ihr Vater wäre kein gebrochener Mann gewesen und hätte nicht das gesamte Familienvermögen verspielt. Sie wäre zu einer anständigen jungen Dame erzogen worden und hätte sich zu keinem Wildfang entwickelt. Wenn sie eine Mutter ge- habt hätte, wäre ihr vielleicht ihre eigene Weiblichkeit nicht als so etwas Fremdes erschienen. Wie sollte sie Rafaels Kinder erziehen, wenn sie selbst nie eine Mutter gehabt hatte?
Nachdenklich schweifte ihr Blick zu dem Gemälde zu- rück. Der Säugling Leo sah mit seinen rosigen Wangen und dem schwarzen Haarbüschel, das lustig in die Höhe stand, wahrhaft entzückend aus.
Rafael stand auf dem Porträt hinter seiner Mutter; seine Hand, die in einem weißen Handschuh steckte, lag beschüt- zend auf ihrer Schulter. Der Künstler hatte sein feuriges Blit- zen in den Augen gut getroffen. In seinem Gesicht zeigte sich aber auch die stolze Entschlossenheit seines Vaters und der nachdenkliche Zug seiner Mutter.
Daniela betrachtete längere Zeit das Bild und gab sich ganz der Verzweiflung hin, wie wenig sie selbst doch in diese Familie passte.
In diesem Moment hörte sie Stimmen, die von der Tür zu ihrer Linken herrührten. Sie wandte sich dorthin und sah, wie die Wachen den Herzog Orlando einließen.
Daniela unterdrückte ein müdes Seufzen und zwang sich zu einer höflichen Miene, als er mit einem charmanten Lächeln auf sie zukam.
„Ach, hier sind Sie also, Daniela!“ begrüßte er sie mit freundlicher Stimme. Es reichte ihm nicht, sie vertraulich beim Vornamen zu nennen, sondern er nahm auch noch ihre Hände in die seinen, als er sie erreichte. Sie sollte wohl dank- bar sein, dass er sie so herzlich behandelte. Er war der Erste seit Tagen, der sich so liebenswürdig zeigte.
„Ich habe Sie überall gesucht“, sagte er.
„Oh?“
„Ja, ich habe mir Sorgen um Sie gemacht.“
Fragend neigte sie den Kopf zur Seite. Entschlossen hakte er sich bei ihr unter und führte sie lächelnd weiter.
„Ich wollte mich davon überzeugen, dass es Ihnen gut geht“, sagte Orlando leise.
„Es geht mir gut genug“, erwiderte Daniela.
Er warf ihr einen listigen Blick zu. „Haben Sie an all die Dinge gedacht, über die wir gesprochen haben?“
„Oh ja.“
„Hm“, ließ sich Orlando vernehmen, wobei er sich ein wenig skeptisch anhörte.
„Was ist los?“ fragte Daniela sogleich.
Er spitzte sinnierend den Mund. „Vergeben Sie mir, wenn ich über solch delikate Angelegenheiten mit Ihnen spreche, meine Dame. Aber ich habe die Leintücher begutachtet, die Sie in Ihrer Hochzeitsnacht verwendeten. Ich weiß aller- dings, dass Sie eine einfallsreiche Frau sind und dieser Be- weis nichts besagen muss. Ich möchte nur sichergehen, dass wir uns richtig verstehen.“
„Sie spionieren mir also nach.“ Sie zog ihren Arm aus dem seinen und entfernte sich einige Schritte von ihm. Da fiel ihr Blick auf ein Porträt, das König Lazar als jungen Mann darstellte. Auf einmal bemerkte sie, wie verblüffend die Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Florentiner Herzog war.
Orlando schaut mehr dem König gleich als Rafael, dachte sie. Seltsam, dass die Familienähnlichkeit bei einem fernen Verwandten noch so groß war.
Er holte Daniela ein und veranlasste sie dazu, stehen zu bleiben. „Was ist geschehen?“
Einen Moment sah sie ihn ausdruckslos an. Plötzlich erin- nerte sie sich an etwas, was er bei ihrer letzten Unterredung
gesagt hatte: Nichts ist schlimmer als ein uneheliches Kind königlichen Bluts.
Ihre Augen wurden größer.
Nein! Rasch sah sie auf den Boden. Ihr Puls raste. Konnte es stimmen? War Orlando König Lazars unehelicher Sohn?
Vielleicht war es ein Familiengeheimnis, von dem niemand wissen sollte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Er ist älter als Rafael – der wahre älteste Sohn des Königs.
Ihr Verdacht ließ plötzlich alles, was Orlando zu ihr gesagt hatte, in einem anderen Licht erscheinen.
Daniela hatte dem Herzog unwillkürlich von Anfang an misstraut, so dass sie Mateo sogar damit beauftragt hatte, in Florenz etwas über ihn in Erfahrung zu bringen. Es
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