Gaelen Foley - Knight 01
Herz. Es wä- re so einfach, ihren Vater aus dem Schuldgefängnis zu holen, aber er wusste, dass er es nicht tun würde.
Die Summe war für einen derartig wohlhabenden Mann wie Hawk der reinste Klacks, aber dieser strohköpfige Narr ver- diente es, im Gefängnis zu sitzen – als Strafe für die Leiden sei- ner Tochter. Außerdem, wenn er Hamilton aus dem Gefängnis befreite, würde Belinda vielleicht nicht mehr bei ihm bleiben wollen, und er brauchte sie doch. Er brauchte sie, damit sie mit ihm das Rätsel um Lucys Tod löste. Er brauchte sie, damit sie bei ihm zu Hause an seinem verstimmten Flügel saß.
Als der Wärter zurückkehrte und sagte, die Zeit für ihren Be- such sei abgelaufen, umarmte Belinda ihren Vater zum Ab- schied und versprach, in ein paar Tagen wiederzukommen. Sie fragte ihn, ob er irgendetwas brauche, und der alte Hamilton bat um Papier und Tinte. Dann wandte er sich mit offenem Blick an Hawk.
„Es beruhigt mich sehr, dass meine Tochter in der großen weiten Welt jenseits der Gitter einen vertrauenswürdigen Freund hat, Euer Gnaden. Ich stehe tief in Ihrer Schuld.“ Sei- ne ungekünstelten Dankesworte waren so entwaffnend, dass
Hawk nickte und dem alten Mann die Hand schüttelte.
Beim Hinausgehen warf Belinda Hawk einen kurzen Blick zu, der ihre tief empfundene Dankbarkeit ausdrückte. Allein für diesen Blick hatte sich der Besuch gelohnt. Irritiert von sei- ner eigenen Dummheit, wandte er sich um und folgte ihr nach draußen. Der Lakai bildete die Nachhut, während sie der Wär- ter auf demselben Weg zum Tor führte.
Jetzt, wo er Hamilton begegnet war, konnte er verstehen, wa- rum Belinda zu so drastischen Maßnahmen gegriffen hatte, um ihn in den saubereren, wärmeren und gesünderen oberen Re- gionen des Gefängnisses unterzubringen. In den überfüllten, rauen Gemeinschaftszellen hätte der alte Gentleman nicht lang überlebt.
Trotzdem hatte er keine Ahnung, was er zu ihr sagen sollte, wenn sie allein waren. Lehrerin in einem Pensionat? Er vermu- tete, dass sie bei Mrs. Hall unterrichtet hatte, während sie da- rauf gewartet hatte, dass ihr Soldatenfreund aus dem Krieg nach Hause kam, um sie zu heiraten, dann aber beides aufge- geben und sich für eine lukrativere Laufbahn entschieden hat- te, um ihren Vater und sich selbst zu retten. Im Moment wollte er gar nicht darüber nachdenken, welche Beziehung sie zu Ja- cinda hatte.
Plötzlich hörten sie vor sich Kampfgetümmel und schreckli- ches Gebrüll. Als sie um die Ecke bogen, bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick. Der vernarbte Aufseher, den Hawk vor- hin gesehen hatte, ein Riesenkerl von einem Mann, an dessen Taille ein großer Schlüsselbund klirrte, hatte einen aufsässigen jungen Gefangenen gegen die Wand geschubst und knüppelte nun gnadenlos auf ihn ein.
Hawk streckte die Hand aus, um Belinda aufzuhalten. Er wusste zwar, dass der Aufseher nur seine raue und gefährliche Arbeit tat, wollte aber nicht, dass sie es sah.
„Halt, mein Liebling.“ Rasch schaute er sich um. „Gibt es noch einen anderen Ausgang“, fragte er die Wache, doch der Mann war schon unterwegs, um seinem Vorgesetzten zu Hilfe zu eilen.
Dann fiel sein Blick auf Belinda.
In einem Zustand von fast unheimlicher Ruhe stand sie da. Ihr Gesicht war bleich und ausdruckslos, während sie die dras- tische Bestrafungsaktion beobachtete. In dem dunklen Gang wirkte sie so bleich und still wie ein Geist oder auch ein Engel,
traurig und doch distanziert. Ein paar blonde Locken wehten in der Zugluft.
Hawk biss die Zähne zusammen, entschlossen, sie jetzt sofort nach draußen zu bringen. Er würde einen anderen Ausgang finden müssen. Er ergriff ihre Hand.
„Komm, Liebste“, murmelte er, doch sie regte sich nicht.
„Ich laufe nicht vor ihm weg“, sagte sie.
Wie ein Kind hielt sie seine Hand umklammert, ignorierte seine Einwände und setzte sich in Bewegung.
In ihrer Schlacht dröhnte kein Kanonendonner, ertönten keine Gewehrsalven. Die Armeen, die in diesem Augenblick aufei- nander stießen, befanden sich in ihrem Innern, fochten mitei- nander, als wollten sie ihr die Seele zerreißen, doch sie weiger- te sich davonzulaufen. Sie wusste, dass sie jetzt die Stellung halten musste, dass sie sich nicht im Schatten ihres mächtigen Gönners verstecken durfte, dass sie weitergehen, dem Unhold ins Auge sehen und ihm zeigen musste, dass sie ihn nicht län- ger fürchtete. Vielleicht würde er es nicht einmal begreifen, aber sie würde wissen, dass sie es getan
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