Gaelen Foley - Knight 01
aus.
„Wir treffen uns in zehn Minuten hier unten“, sagte sie und eilte die Treppe hinauf, ehe er ihr noch weitere quälende Fra- gen stellen konnte.
Kurz darauf verfluchte Hawk sich bereits dafür, dass er sich zu diesem Ausflug hatte überreden lassen. Sie ritten durch das Labyrinth dunkler, vor Unrat starrender Gassen, aus denen der Bezirk St. Giles bestand. Es war einfach kein Ort für Da- men oder zivilisierte Männer. Hawk ritt auf seinem großen, leb- haften Hengst neben Belindas fügsamem grauen Wallach her, eine Hand am Griff seiner Pistole, während er die Straßen und verfallenen Gebäude scharf beobachtete. William bildete auf einem der Gäule für die Dienstboten die Nachhut.
Die stickigen Gassen waren vom feuchten, süßlichen Ge- stank des Flusses erfüllt, den dieser bei Ebbe ausströmte. Kei- ne Laterne erhellte die Dunkelheit. Zerbrochene Schilder knarrten über den verrammelten Läden, und in den Wegen klafften riesige Löcher.
„Ich hoffe, das alles hat irgendeinen Zweck“, brummte er. Unter ihrem zarten Reitschleier hatte Belinda wieder jene Maske heiterer Gelassenheit aufgesetzt, die ihn wie immer ir- ritierte.
„Hier“, murmelte sie und deutete auf ein großes Lagerhaus.
Hawk betrachtete es. „Sieht völlig verlassen aus.“
„Wenn es doch nur so wäre“, erwiderte sie und ritt gerade- wegs auf das Gebäude zu.
Hawk schüttelte über ihren unangebrachten Mut den Kopf und drückte seinem Pferd die Hacken in die Flanken, damit es mit ihr Schritt hielt.
Gegenüber dem verfallenen Lagerhaus brachte sie ihr Pferd zum Stehen und glitt aus dem Damensattel.
„Was machst du da, Belinda?“
„Ich gehe rein.“
„Oh nein, das tust du nicht ...“
„Mein Pferd, William“, wandte sie sich an den Pferdeknecht. „Ja, Madam.“ Mit grimmiger Miene stieg der Bursche ab und nahm die Zügel ihres Wallachs.
„Belinda!“
„Deswegen sind wir hier, Robert. Ich gehe zuerst hinein.“ „Das kann nicht dein Ernst sein.“
„Sie kennen mich. Ich rufe dich gleich, sobald sie erkannt haben, dass du keine Bedrohung für sie darstellst.“
„Belinda Hamilton, du wirst da nicht hineingehen. Steig so- fort wieder auf dein Pferd“, befahl er, doch sie ignorierte ihn, nahm den Reithut ab und eilte über die Straße.
Fluchend sprang Hawk vom Pferd und rannte hinter ihr her, als sich in der Düsternis am Lagerhauseingang etwas regte. Er hielt den Atem an und zog die Pistole, als sich vor seinen Au- gen kleine Schatten erhoben und um sie scharten.
Er blieb stehen und starrte sie an.
Kinder.
Ihm wurde klar, dass er eine Gaunerschule vor sich hatte, ei- nen Unterschlupf, wo Kinder zu Verbrechern herangezogen wurden. Er wusste zwar, dass es diese schlimmen Einrichtun-
gen gab, aber gesehen hatte er noch keine.
Belinda beugte sich hinunter und begrüßte die kleinen, abge- rissenen Gestalten, die sich vor der Wand abzeichneten. Meh- rere umarmten sie. Er sah, wie sie in ihr Retikül griff und ihnen Geld gab. Die Gnade und das Mitleid, mit denen sie den Kin- dern in dieser verelendeten Unterwelt begegnete, beschämten ihn.
Schmerz überkam ihn, als er die dürren, misstrauischen, ver- nachlässigten Kinder sah, lauter zukünftige Diebe und Prosti- tuierte, Kandidaten für Lord Eldons Galgen. So erschütternd diese Erkenntnis auch war, noch größere Sorgen machte er sich um Belindas Sicherheit. Irgendwo in der Nähe lauerten die Gauner und Zuhälter, zweifellos erwachsene und gefährliche Schläger, denn diese geisterhafte Kinderschar durfte die Aus- beute bestimmt nicht behalten. Nur Gott wusste, welche Hals- abschneider sich hier in diesem Elendsquartier herumtrieben. Er war froh, dass er seine Pistolen mitgebracht und auch Wil- liam bewaffnet hatte. Sie konnten von Glück reden, wenn sie nicht mit dem Gesicht nach unten in der Themse landeten. In diesem Augenblick winkte Belinda ihn herüber. Er schob die Pistole zurück, schaute sich noch einmal um, um sich zu vergewissern, dass William mit dem lebhaften Hengst zurecht- kam, und trat dann vor. Er kam sich vor wie Gulliver bei den Liliputanern, als die Kinder mit den riesigen Augen ihm den Weg frei machten.
Auf Belindas Aufforderung hin blickte er durch die schief hängende Tür in das Lagerhaus hinein. Schock und Entsetzen packten ihn, als er die Massen an Kindern dort entdeckte. Als er sie dann mit sich fortzog, war er so verstört, dass er kein Wort hervorbrachte.
„Alles in Ordnung?“ fragte sie schließlich, als sie zu ihren
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