Gaelen Foley - Knight 02
nichts dagegen gehabt hätte, noch einmal ge- küsst zu werden, doch sie wandte sich ihm nicht zu. Er lä- chelte in sich hinein und betrachtete sie voll leisem Entzü- cken. So anmutige lange Wimpern und die Lippen rosenrot. Am liebsten hätte er sie in die Arme gezogen, doch er be- herrschte sich, denn er war fest entschlossen, diesmal nichts falsch zu machen. Heute war er darauf bedacht, ihr zu zei- gen, wie nett er sein konnte, wenn er wollte.
Sie drehte sich um und ging den Pfad hinunter, und er folg- te ihr gehorsam.
„Lucien?“ sagte sie nachdenklich.
Seinen Namen von ihren Lippen zu hören jagte ihm freu- dige Schauer über den Rücken. „Ja?“
„Darf ich Sie mal was fragen?“
„Ja“, meinte er vorsichtig, während er ihr auf einen umge- stürzten Baumstamm half, der ihnen den Weg versperrte.
Mit schwingendem Körbchen sprang sie auf der anderen Seite hinunter. „Ich bin neugierig. Warum hat Ihr Vater Ih- nen Revell Court hinterlassen und Lord Damien gar nichts?“
„Er hat dafür gesorgt, dass Damien zum Earl ernannt wird.“
„Wirklich?“
„Ja. Wie ich schon erwähnte, hatte Carnarthen keinen rechtmäßigen Erben. Er war meiner Mutter so ergeben, dass er nie geheiratet und auf sein vierhundert Jahre altes Ge- schlecht gepfiffen hat. Sie war die Liebe seines Lebens, er hat sich einfach geweigert, eine andere zu ehelichen. Jeden- falls hatte er im Oberhaus eine Menge Freunde, die seine Si- tuation kannten und ahnten, dass ihnen so etwas durchaus auch hätte passieren können. Nach seinem Tod taten sie sich zusammen und reichten bei der Krone eine Petition ein, mit der sie beantragten, dass ein neuer Titel eingerichtet werden sollte, damit das alte Geschlecht nicht ausstürbe, selbst wenn der Name nicht erhalten bliebe. Weil Damien zwölf Minuten älter als ich ist, geht der Titel an ihn. Natürlich wurde die Entscheidung auch von Damiens Ruhm als Kriegsheld und als tapferem, integrem Mann beeinflusst – ganz zu schweigen davon, dass er dem Premierminister un- ter vier Augen versprochen hat, seine Familie würde die nächsten drei Generationen immer die Torys wählen.“
„Verstehe. Lord Carnarthen muss vollkommen verrückt nach Ihrer Mutter gewesen sein, um sein Erbe der Liebe zu opfern“, sagte Alice ehrfürchtig.
„War er. Er hatte sie als junges Mädchen kennen gelernt, noch bevor sie den Duke of Hawkscliffe heiratete, sie aber nicht weiter beachtet. Er erzählte mir die Geschichte letztes Jahr kurz vor seinem Tod.“
„Ach, mein Beileid.“
„Danke. Aber es war das Beste für ihn. Er war sehr krank.“
„Gut, dass Sie bei ihm waren. War Lord Damien auch da?“
„Nein, Damien konnte nicht von der Halbinsel weg. Au- ßerdem zieht Damien es vor, seine wahre Herkunft zu ver- leugnen und so zu tun, als wäre er wirklich Hawkscliffes Sohn.“
Sie schaute ihn teilnahmsvoll an.
„Ich ziehe die Wahrheit vor. Möchten Sie die Geschichte hören?“
„Ja, gern.“
„Meine Mutter war ein Jahr in Paris, um vor ihrem Debüt ihre Ausbildung zu vollenden. Carnarthen war damals ein- undzwanzig, ein Dandy auf Kavalierstour. Er hat meine Mutter zum ersten Mal gesehen, als sie mit ihren Mitschüle- rinnen im Park von Versailles beim Zeichenunterricht saß.“
„Wie romantisch“, meinte sie lächelnd.
„Ja, aber leider hat er sich kaum um sie gekümmert, er war viel zu sehr damit beschäftigt, französischen Kurtisanen nachzulaufen. Als er sie das nächste Mal traf, war sie schon eine verwegene junge Matrone. Er erkannte, dass er den Feh- ler seines Lebens begangen hatte, als er sie sich durch die Finger hatte schlüpfen lassen. Sie waren füreinander be- stimmt, aber natürlich war es da zu spät.“ Den Ratschlag, den Carnarthen ihm gegeben hatte, erwähnte er allerdings nicht: Wenn du die Richtige gefunden hast, mein Junge, dann halt sie fest und lass sie nie mehr gehen. Gut möglich, dass du nur diese eine Chance hast. „Er bat sie, sich von Hawks- cliffe scheiden zu lassen“, fuhr Lucien fort, „aber das wollte sie nicht, weil sie wusste, dass der Herzog die Kinder behal- ten hätte. Zu diesem Zeitpunkt waren Robert und Jack schon geboren. Dann kamen Damien und ich auf die Welt. Hawks- cliffe hatte seine diversen Geliebten, meine Mutter hatte Carnarthen. So ging alles seinen Gang, bis Damien und ich
vier waren.“
„Und dann?“
„Carnarthen hatte einen hohen Posten bei der Marine, er musste immer mal wieder für längere Zeit zur See fahren. Als ich vier war, kam er
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