Gaelen Foley - Knight 03
Dolch. Genau. Irgendein Raubvogel, der einen Dolch in seinen Fängen hielt.“
Lucien wurde auf einmal sehr still. „Bist du sicher? Konntest du es ganz genau sehen?“
Er nickte besorgt. „Ich habe es genau gesehen, als sie den Kerl begraben haben. Warum?“
Lucien hielt inne und stellte sein Glas ab. „Das ist das Zeichen einer kriminellen Bande, die im East End ihr Un- wesen treibt“, erklärte er, „und zwar nicht weit von der Stelle, an der Jason getötet wurde.“
11. KAPITEL
Damien stellten sich die Nackenhaare auf, doch seine Stimme war hart. „Wie heißt die Bande?“
„The Raptors, die Raubvögel.“
„Lass uns sie aufsuchen.“
Lucien warf ihm einen düsteren Blick zu; sicher war ihm bewusst, dass Damien alleine aufbrechen würde, wenn er ablehnte, ihn zu begleiten. Er nickte entschlossen und ging sich anziehen.
„Wieso weißt du eigentlich über die Londoner Banden Bescheid?“ fragte Damien kurz darauf, als Lucien ihm ei- nen Degen zuwarf, den Griff voran. Damien fing ihn auf und nahm auch noch die Pistole, die sein Bruder ihm gab.
„Wenn du es wirklich wissen möchtest – hin und wieder brauchen wir sie als Informanten“, erwiderte Lucien und schnallte sich den Degen um. Als Lucien nach Napoleons Niederlage vom „diplomatischen Dienst“ auf dem Konti- nent zurückbeordert worden war, hatte man ihn mit einer Gegenspionageaffäre betraut, die ihn mit vielen unange- nehmen Gestalten in Kontakt gebracht hatte. Eines muss- te Damien seinem Bruder lassen: Er fürchtete sich nicht, für das Wohl Englands hart an die Grenzen unehrenhaften Benehmens – wie das Gentlemen ihrer Klasse mit ihrem strengen Ehrbegriff empfinden würden – zu gehen. Nur Alice’ tugendhaftem Einfluss war es zu verdanken, dass Lucien von seinem Flirt mit der Dunkelheit keine bleiben den Spuren zurückbehalten hatte.
„Über manche Aktivitäten dieser Leute sehen wir ein- fach hinweg – innerhalb gewisser Grenzen natürlich“, er- läuterte er. „Einer dieser Halsabschneider hat mich schon sehr oft mit Informationen versorgt. Eigentlich war er zum Galgen verurteilt, aber ich habe dafür gesorgt, dass er frei-
kommt. Lebend nützt er mir mehr. Er ist als ,Billy Blade’ bekannt.“
„Billy Blade?“ wiederholte Damien, während er die Pis- tole in den Hosenbund steckte.
Lucien grinste ihn gerissen an. „Wenn ich dir seinen wahren Namen nennen würde – was ich nicht kann –, wärst du schockiert.“
„Wer ist er denn?“
„Tut mir Leid, das kann ich dir nicht sagen, alter Junge. Ich kann dir nur verraten, dass Billy Blade Chef einer riva- lisierenden Bande ist, der Tomahawks.“
„Die wilden Indianer?“
„Allerdings. Er wird wissen, was mit den Raptors los ist. Diese Banden spionieren einander aus, als wären sie frem- de Nationen, und verwalten ihre Bezirke wie mittelalterli- che Kriegsherren. Sie haben ihre eigenen Armeen, ihren ei- genen Schwarzmarkt, ihren eigenen Ehrenkodex. Mein Freund, du bist im Begriff, ein England zu betreten, von dem du nie wusstest, dass wir dafür gekämpft haben.“
Damien zuckte mit den Schultern. „Solange sie bestech- lich sind.“
„Das ist ihr liebenswertester Zug.“ Lucien schüttelte die kleine Lederbörse, die er zu diesem Zweck mitführte. „Au- ßerdem achten sie genau darauf, dass keiner in ihr Revier vordringt, sie sind gemein wie die Ratten und hochgefähr- lich, also überlass lieber mir das Reden.“
„Das tue ich doch, seit wir vier Jahre alt sind“, murmel- te Damien.
Scheinbar aus der Luft hatte Lucien zwei seiner jungen Geheimagenten herbeigezaubert, Marc Skipton und Kyle Stewart, damit sie sie in den Backsteindschungel des East End kutschierten und den Wagen bewachten, während sie mit dem geheimnisvollen Bandenanführer konferierten. Ohne weitere Umstände stiegen sie in Luciens schlichte schwarze Kutsche und fuhren los.
Über den dunklen Dächern hing die Mondsichel, wäh- rend unten in den labyrinthischen Straßenzügen der Ar- menviertel Londons Gewalt und Verderben drohten. In den verfallenen Mietskasernen und den überschatteten, mit Unrat übersäten Gassen lauerte die Gefahr. Sie arbeiteten sich durch das stinkende, unwirtliche Viertel, bis sie an ei-
ner rauen Kneipe anlangten, wo sich eine betrunkene Meu- te eingefunden hatte, um auf einen Hundekampf zu wet- ten.
Lucien winkte Damien aus der Kutsche und nickte Marc zu, er solle weiterfahren, nachdem sie schon verabredet hatten, dass er sie in einer halben Stunde wieder
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