Gaelen Foley - Knight 06
entschlossen, sie zu küssen, griff Becky ohne Vorwarnung an.
Mit einer plötzlichen Bewegung trat sie vor und stieß ihm das Knie in die Lenden. Er schrie auf und ließ sie los, während er zur Seite stürzte. Gleich darauf drängte sie den Mann mit dem braunen Haar aus dem Weg, und als Lord Draxinger die Hand nach ihrem Ellenbogen ausstreckte und dabei „Na, na, mei- ne Liebe“, murmelte, holte sie aus und versetzte ihm mit aller Kraft einen Kinnhaken.
Dann rannte sie hinaus in die Nacht, so schnell sie konnte – und war sofort bis auf die Haut durchnässt.
Alec war derart erstaunt, dass er nicht sofort reagierte. Selten nur gab es noch etwas, was ihn überraschte, vor allem bei einer Frau, aber der Angriff dieses Mädchens verblüffte ihn völlig. Fort konnte kaum mit Lachen aufhören, zwischendurch rief er: „Bravo, Mädchen!“ Alec war zu nichts anderem fähig, als ihr erstaunt nachzusehen, während zwei seiner Freunde wieder zu Sinnen kommen mussten. Rushford krümmte sich noch immer, während Drax sich stöhnend das Kinn rieb und etwas Blut aus- spuckte.
„Das Mädchen hat mir verdammt noch mal fast einen Zahn ausgeschlagen.“
Plötzlich lachte auch Alec laut auf. Gütiger Himmel, dieses Mädchen hatte ihnen eins ausgewischt. Wie viele Frauen hätten nicht gern zugesehen, wie diese großen Verführer so außer Ge- fecht gesetzt wurden? Alec gehörte nicht zu den Opfern dieses Wirbelwinds, doch auch wenn sie ihn nicht berührt hatte, so hatte sie ihn aus seinen Stimmungen befreit. Schon setzte er sich in Bewegung, ein Lächeln auf den Lippen.
„Wohin willst du?“, rief Fort ihm nach.
„Mich überzeugen, dass es ihr gut geht.“
„Ihr?“, stieß Rush hervor. „Was ist mit uns?“
„Ihr habt es verdient.“
Um sich vor dem Regen zu schützen, kniff Alec die Augen zu- sammen und erblickte das geheimnisvolle Mädchen, wie es die Straße hinunterlief. „Miss!“, rief er und setzte ihr nach. „Ren- nen Sie nicht weg, kommen Sie zu uns zurück.“
Sie warf ihm über die Schulter einen erschrockenen Blick zu, lief jedoch weiter. Offensichtlich war sie nicht bereit, ihnen zu trauen. Alec warf den Freunden einen finsteren Blick zu. „Ich sagte euch doch, dass ihr dem Mädchen keine Angst machen solltet.“
Dann fing auch er zu laufen an, und mit seinen langen Schrit- ten würde er sie bald eingeholt haben.
„Vorsicht, alter Junge!“, rief Fort heiter. „Das Mädchen ist ge- fährlich.“
„Ich liebe die Gefahr“, erwiderte Alec. „Das ist euch doch nichts Unbekanntes.“ Etwaige Vorurteile der jungen Frau ge- genüber schob er beiseite. Das Mädchen hatte Temperament. Er musste ihren Namen wissen. Sie bot eine Herausforderung, und Herausforderungen waren in seinem Leben so selten wie Über- raschungen. Aber er war nicht nur interessiert, er war auch be- sorgt – gegen seinen Willen.
Inzwischen war er nicht mehr sicher, ob ihre erste Vermutung gestimmt hatte und sie tatsächlich zu früh gekommen war, vor den anderen filles de joies. Ihre Garderobe sah anders aus, und sie hatte auch nicht nach billigem Parfüm gerochen. Sie hat- te kein Rouge getragen, keinen falschen Schmuck, und sie war nüchtern gewesen.
Entweder war sie gerade aufgewacht und hatte deshalb nicht verstanden, warum seine Freunde sie so aufmerksam behan- delten, oder es gab einen anderen Grund für ihren naiven Aus- bruch.
Alec hatte vor, das herauszufinden. Er musste das Rätsel lö- sen, etwas Besseres hatte er gerade nicht zu tun.
An der Ecke blieb das Mädchen stehen, offensichtlich wurde sie müde. Sie blickte erst in die eine, dann in die andere Rich- tung, als wüsste sie nicht, wohin sie gehen sollte. Dann entdeck- te sie, dass er ihr folgte. Erschrocken lief sie weiter.
„Lassen Sie mich in Ruhe!“, rief sie ihm mit gellender Stimme
zu, obwohl er noch immer ein gutes Stück entfernt war.
„Warte! Ich will nur mit dir reden.“ Er war wieder zum Du übergegangen.
Sie stieß einen angstvollen Schrei aus und floh weiter.
Mit funkelnden Augen beschleunigte Alec seinen Schritt, för- derte mühelos diese ungenutzten Kräfte zutage, die er in vielen Jahren des fast täglichen Trainings in Londons besten Fecht- und Boxvereinen erworben hatte. Mit seinen schwarzen elegan- ten Schuhen durchquerte er tiefe Pfützen. Noch immer war er für den Ballsaal gekleidet, in schwarzer Hose und Frack, doch der Regen hatte schnell seine Schultern und seine Brust durch- nässt, ebenso seine weiße seidene
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