Galdäa. Der ungeschlagene Krieg (German Edition)
Knopf entfernt, der die Zeitansage des Rechners aktivieren würde. Markus machte eine kaum wahrnehmbare wippende Bewegung, ohne sonst einen Muskel zu bewegen.
Eine angenehme Stimme erfüllte den Raum: »Es ist zehn Uhr und einundzwanzig Minuten. Neun Minuten vor halb elf. Zu früh für Drinks, wirklich. Wie wäre es mit einem Tee?«
Markus musste grinsen. Sein Vorgänger in diesem Appartement hatte von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Ansagen seinen persönlichen Vorlieben anzupassen. Konnte peinlich sein, wenn man vergaß, die Sprüche spätestens an dem Tag wieder zu löschen, an dem man auszog.
»Tee ist prima«, sagte er und löste sich aus der Erstarrung. Es war ein ungewohntes und verdrehtes Gefühl, seinen eigenen Organismus derart genau zu spüren. Ein Schlagzeuger musste seine Schießbude ähnlich erleben wie Markus dieses Zimmer – genau definierte Flächen, jede katalogisiert und bekannt, eingeordnet in ein System aus abgezirkelten Hieben, ein Raum, in dem man sich bewegen konnte. Trommelwirbel an der Decke, auf dem Gesicht des Nachbarn, ganz gleich, wie laut der schreien würde. Was auch immer Maja Maja mit Markus gemacht hatte, es hatte irgendwie mit dem Nervensystem zu tun – die Grenze zwischen den bewussten und den unbewussten Signalen seines Körpers war verschoben worden. Nicht nur jeder Punkt seines eigenen Leibes war ihm mit schmerzhafter Deutlichkeit bewusst, irgendwo in seinem Hinterkopf hatte ein emsiges Männlein eine haargenaue Zeichnung dieses Raumes angefertigt. Das Hotelzimmer war ausgemessen und kartographiert wie eine archäologische Fundstätte. Sollte irgendwo ein Ungeziefer auftauchen – auf der Universitätswelt eher unwahrscheinlich –, er könnte es mit einem wohlgezielten, blitzschnellen Hieb sofort erledigen.
Markus hob seine Hände vors Gesicht und betrachtete seine Fingerspitzen. Kakerlakenkiller, dachte er. Erst danach ging ihm auf, dass seine Bewegung so schnell gewesen war, dass andere Leute sich unweigerlich mit dem eigenen Finger die Augen ausgestochen hätten. Die Muskeln in seinen Händen protestierten mit leisen, ziehenden Schmerzen gegen die Zumutung derart rasanter Bewegungen. Nur die sagenhaften Kampfmaschinen des verfluchten Oktogons mochten so durchgerechnet und effektiv gewesen sein; das war ein Gedanke, den Markus jetzt gar nicht hören und nicht denken wollte.
Er wandte sich seinen Kleidungsstücken zu und fixierte sie; Bonnie hatte alles ordentlich über einen Stuhl gelegt. Eine hübsche Aufgabe – wie ziehe ich mich so schnell wie möglich an. Selbst diesen Anblick hatte das Männlein im Hinterkopf in Windeseile zum vertrauten Terrain umgewandelt. Markus benötigte genau dreiundzwanzig Sekunden, um sich komplett anzukleiden. Ein Paar Strümpfe, ein merkwürdig zu knöpfender Unterwäsche-Einteiler, das schneeweiße Hemd mit albernen bunten Manschetten, eine enge schwarze Hose, schwarze Hosenträger, eine schwarze Schleife um den Hals, eine weit geschnittene Jacke aus einem seltsamen Material, vermutlich die gegerbte Haut irgendeines armen Tieres. Die zu diesem Ensemble passenden Ringe ließ Markus liegen. Er mochte kein Metall an seinen Händen.
Als er in das andere Zimmer hinüberging, war sein Atem nicht beschleunigt. Vermutlich hatte er alle Rekorde beim Ankleiden geschlagen, die es gab – wenn es welche gab. Es war ihm egal. Er fühlte sich in der Lage, so manchen anderen Rekord zu schlagen. Maja Maja hatte ganze Arbeit geleistet. Für Markus Hataka hatte sich die Welt in ein exakt beherrschbares Koordinatensystem verwandelt, in dem jedes Ding einen genau zugewiesenen Platz einnahm und so leicht manipuliert werden konnte wie ein Gesichtsausdruck. Bewegungen waren eine Art von Musik geworden, die Welt eine Art von Instrument. Markus hatte Angst davor, was geschehen würde, wenn er wieder eine Gitarre anfasste. Es war besser, jetzt nicht daran zu denken. Er fürchtete den Augenblick, in dem ihm seine kleine Fee mitteilte, sie könne ihm in diesem Zustand nicht mehr dienen.
Und andererseits war allein das Gehen eine Art von Musik, ein minutiös ausgezirkelter Tanz von einer fußsohlengroßen Fläche zur nächsten, jeder Schritt genauestens vorherberechnet, und irgendwie ein Genuss, wenn Ferse und Zehen auf den Millimeter genau dort ankamen, wo es das emsige Männlein im Hinterkopf ausgerechnet hatte. Markus verstand sich selbst nicht mehr.
Nebenan wartete Bonnie Wayss, und sie war nicht allein. An ihrer Seite saß jemand, der die gesamte
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