Galdäa. Der ungeschlagene Krieg (German Edition)
Dieses Schiff war nicht vergleichbar mit der Sebafell oder einem der anderen Raumfahrzeuge, die sie bisher kennengelernt hatte. Das waren bloß Maschinen gewesen, träge Apparate. Die Pilgernder Joker war in irgendeiner verqueren Art aus einem anderen Holz geschnitzt. Das Bild auf der weichzeichnenden Fläche ruckte und setzte sich in Bewegung; die Startröhre rastete ein und leuchtete auf.
»Was ist passiert?«, fragte Veruca Salt.
»Oh, nichts weiter«, antwortete das Schiff. »Ich habe den Start eingeleitet. Kein Grund zur Besorgnis. Die Maschinen arbeiten durchaus zufriedenstellend. Wie nicht anders zu erwarten. Henning Lucas wäre zufrieden mit mir, wenn er anwesend sein könnte.«
Veruca Salt blieb unbeteiligt und schaute dem Lichterspiel draußen zu; in ihrem Innern zeterte Ja‘ana angstvoll davon, dass der Bewusstlose womöglich früher aufwachte. Sie hätte ihn gut fesseln und mit Klebestreifen ruhigstellen sollen. Ihr grauste vor der Möglichkeit, dass Henning Lucas dieses verflixte Gefährt per Fernsteuerung unter seine Gewalt bringen könnte, denn es war doch offensichtlich auf seine Person konditioniert.
Konditioniert? Ein Raumschiff? Oder, um genauer zu sein, ein Zweisamkeitsgenerator? Konnte man denn nicht nur Lebewesen konditionieren, keine Maschinen? Sie wollte lieber nicht darüber nachdenken. Nicht jetzt.
»Startgenehmigung«, trällerte die Stimme von überall her, »und auf gehts. Ab dafür.«
Veruca Salt spürte das Ziehen in der Magengrube, als die Pilgernder Joker die Kraftfelder aktivierte, die den Andruck des Starts und alle störenden Einflüsse neutralisierten. Nur das kaum wahrnehmbare Vibrieren der Landau-Modulatoren verriet Veruca Salts angespannten Nerven, dass sie sich nicht mehr auf festem Boden befand. Dann huschten ihr die Lichter der Startröhre entgegen, ein dunkler Himmel stürzte vorüber, Wolken verschwanden, und Sterne glommen in der Schwärze des Weltalls.
»Sieben Minuten, meine Teuerste«, sagte die Stimme, »in sieben Minuten haben wir den Absprungpunkt erreicht und begeben uns in die poetische Welt der unfassbaren Dimensionen, um zwischen Ist und Nichts dahinzusegeln, schnell wie Gedanken.«
Veruca Salt runzelte wegen dieses Unsinns die Stirn; sie sagte nichts. In diesem Augenblick war K‘jonasoidt mit neuen Informationen aufgetaucht, und was sie ausgegraben hatte, ließ Ja‘ana und T‘Arastoydt aufheulen. Jana Hakon sorgte für Ruhe – und dann geschah völlig Ungeheuerliches. Ja‘ana K‘jonasoidt Hakon T‘Arastoydt fragte Veruca Salt um Rat. Eine Galdani im Vollbesitz ihrer Kräfte behandelte eine als Hülle dienende Tarnidentität als gleichwertiges Wesen. Sie war sich im Klaren darüber, dass sie im Konzil der Schwestern keine Lobeshymnen ernten würde, und es war ihr herzlich egal. Das Konzil konnte ihr nicht helfen. Veruca Salt dagegen sehr wohl.
K‘jonasoidt hatte nach langem Stöbern in den aufgehäuften und nie benutzten Mengen aufgesaugten Wissens entdeckt, dass die Pilgernder Joker mit einiger Sicherheit zu den zweifelhaftesten technischen Leistungen von Utragenorius gehörte. Diese Stimme, die so überschwänglich daherredete, war nicht etwa ein Unterhaltungsprogramm oder eine neckisch programmierte Schnittstelle. Der Begriff Zweisamkeitsgenerator war eine Irreführung. Es war die Pilgernder Joker selbst, mit der man sprach. Auf Utragenorius hatte man es für eine gute Idee gehalten, Raumfahrzeugen ein Ich-Bewusstsein, Empfindungsfähigkeit und Intelligenz zu geben. Ein Irrweg, den die Menschheit nach den Katastrophen mit den ersten Weltenkreuzern aufgegeben hatte. Die seltsamen Aktionen von Hatteras und Servadac waren Legenden, und niemand hatte jemals wieder ernsthaft den Versuch unternommen, in einem Rechner mehr zu sehen als eine informationsverarbeitende Maschine. Sogar die heute namenlosen Vordenker des Oktogons waren davor zurückgeschreckt.
Die Bewohner der Dunkelwelten waren in vielem anderer Meinung, und nun saß Veruca Salt in einem Raumfahrzeug, das neben unbekannten technischen Fähigkeiten über einen eigenen freien Willen verfügte. Und vermutlich wusste die Pilgernder Joker selbst genau, dass sie frei war, ein intelligentes Lebewesen, selbst wenn ihre Gedanken elektronisch waren, ihre Muskeln mit Landau-Feldern funktionierten und sie viele zehntausend Mal schneller denken konnte als ein Mensch.
Jana Hakon spürte eine unsichtbare eiskalte Hand ihr den Rücken hinabstreichen. Sie hatte auf dem Unterdeck einige
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