Galeeren in der Ostsee
der
Odin
Windschutz zu geben. Das war es, was eine Admiralsflagge ausmachte, und was auch für seine Flagge am Kreuzmast galt: nicht daß er ein Geschwader ins Gefecht führte oder zu irgendeiner Aufgabe, die Gehorsam und Mut verlangte. Es ging um die Menschen. Um Männer mit Familie wie Herrick und Inch, die jedesmal ihren eigenen inneren Kampf auszufechten hatten, wenn ein Kriegsschiff Anker auf ging. Männer, die ihre Hoffnungen und Wünsche hatten und doch keine andere Wahl, als ihrem Befehlshaber zu vertrauen.
Er erinnerte sich plötzlich ganz deutlich an Belindas Worte, als sie einander das letzte Mal umarmt hatten: »Komm’ gesund zu mir zurück, Richard. Mehr verlange ich nicht.«
Nun, diese Verantwortung trug er jetzt auch.
Er beobachtete, wie die Silhouette der
Odin
länger wurde, als die Fregatte wendete. Ihre Segel wirkten vor dem düsteren Hintergrund einer Wolkenbank und verzerrt durch die dicken Glasscheiben wie ein Paar Flügel.
Eine Stunde später, als das Geschwader wieder in eng aufgeschlossener Kiellinie segelte, kam Herrick wieder zu ihm. Bolitho stand noch immer am Heckfenster, die Hände auf das Süll gestützt, um sein schmerzendes Bein zu entlasten.
Bolitho erkannte Herricks Spiegelbild in der salzverkrusteten Glasscheibe und sagte: »Wir werden alle Kommandanten zusammenrufen, sobald wir wissen, was von uns erwartet wird. Ich möchte sie gern sehen, bevor wir ins Gefecht gehen. Machen Sie ein Signal an
Lookout,
daß sie die
Relentless
von ihrer Patrouille zurückruft.«
Herrick nickte. »Gleich als erstes, bevor es zu dunkel wird.« Er bemerkte Bolithos Unsicherheit. »Werden Sie es ihm sagen, Sir?«
Bolitho brauchte nicht zu fragen, wen er meinte. »Er hat ein Recht darauf. Adam trifft keine Schuld.«
Herrick sah ihn betrübt an. »Und Sie auch nicht, Sir.«
»Vielleicht nicht.« Er drehte sich um und sah ihn direkt an. »Nun verschwinden Sie aber, und setzen Sie das Signal. Hinterher essen wir zusammen zu Abend, ja?«
Als er wieder allein war, lauschte Bolitho an seinem Tisch auf die Stimmen des Schiffes. Spieren und Rahen, Spanten und Planken flüsterten miteinander in ihrer Sprache.
Dann zog er einen Bogen Papier aus der Schublade und nahm eine Feder aus dem Ständer, den Tregoye, der Schiffszimmermann, ein wortkarger Landsmann aus Cornwall, ihm geschenkt hatte. Bolitho erinnerte sich, wie sie ihn umarmt hatte und wie sie – wenn sie still bei ihm saß – die Hände im Schoß gefaltet hatte. Dann begann er zu schreiben: ›Meine liebste Belinda…‹ Wenn die Kurierbrigg noch vor dem Kampf bei ihnen vorbeischor, konnte Belinda den Brief bald lesen. Zu dem Zeitpunkt mußte für das Geschwader aber schon alles vorüber sein. Zumindest würde sie erfahren, was er in dem Augenblick gedacht hatte, als die Benbow an der Spitze des kleinen Geschwaders der abendlichen Dämmerung entgegensegelte…
Bolitho hörte die gedämpften Kommandos der Ehrenwache und wußte, daß ein weiterer seiner Kommandanten zur Besprechung an Bord gekommen war. Die Besprechung mußte kurz sein, denn angesichts so vieler Linienschiffe in ihrer Nähe, dazu zahlreicher Fregatten, Versorgungsschiffe und was sonst noch dazugehörte, konnten sie unmöglich irgendwo ankern.
Die letzte Woche war arbeitsreich, aber wenig aufregend gewesen. Nachdem sie einmal auf einen Schlachtplan festgelegt waren, so unklar er dem einfachen Matrosen oder Seesoldaten auch vorkommen mochte, machten sich die Leute doch entschlossen an die Vorbereitungen. Da galt es vor allem, durch Umstauen von Vorräten und Munition die Schiffe neu zu trimmen. Zu lange hatten sie darauf nicht mehr geachtet.
So lange Tageslicht herrschte, meldeten die Ausguckposten in den Masten immer neue Schiffe von Hyde Parkers Flotte, die sich für den ersten gefahrvollen Vorstoß in den Sund versammelte.
Es klopfte, und Bolitho hörte vor der Tür das Gescharre vieler Füße wie von Schauspielern, die hinter der Bühne auf ihren Auftritt warteten. Browne schaute herein und sagte: »Alle zur Stelle, Sir.« Dann fiel ihm noch ein: »Der Wind ist gleichgeblieben. Mr. Grubb meint, er wird auch kaum umspringen.«
»Lassen Sie die Herren herein.« Bolitho ging zur Tür, um jeden seiner jungen Kommandanten mit Handschlag zu begrüßen: Veitch von der
Lookout
und Keverne von der
Indomitable
. Letzterer hatte sich trotz seiner neuen Würde kaum verändert. Noch immer hatte er das zigeunerhaft gute Aussehen wie damals, als er Erster Offizier auf
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