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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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»Ich hab die Leute, die beim Zeitungsjungen waren, reden hören. Darum hab ich sie gekauft. Sie sagen lauter schlimme Sachen.«
    Hester griff nach dem Blatt, überflog die Schlagzeilen und vertiefte sich in die Innenseiten. Scuff hatte recht. Der Inhalt gefiel ihr überhaupt nicht. So verhüllt die Unterstellungen auch waren, unterschieden sie sich kaum von dem, was Phillips am Vorabend am Kai angedeutet hatte. Fragen über die Wasserpolizei wurden aufgeworfen, vor allem über ihre Erfolgsquote, die jetzt auf einmal als verdächtig hoch bezeichnet wurde. Konnten diese Zahlen ehrlich sein? Wie war es zu der Anstellung eines Mannes wie Durban gekommen, der fanatisch von Rachegefühlen besessen war? Und anscheinend hatte man mit seinem Nachfolger denselben Fehler begangen. War der Neue, William Monk, auch nur einen Deut besser? Was wusste man über ihn? Was wusste man überhaupt über die Kommandanten, einschließlich Durban?
    In einer Nation herrschten bedrohliche Zustände, wenn eine Behörde wie die Wasserpolizei eine solche Machtfülle genoss und nichts und niemand kontrollierte, wie sie diese ge-oder womöglich missbrauchte. Wenn die Parlamentsabgeordneten, die ihre am Fluss liegenden Grafschaften vertraten, ihre Pflicht erfüllten, würde es im Unterhaus Fragen hageln.
    Hester sah zu Scuff auf. Er hatte sie die ganze Zeit beobachtet und versucht, an ihrer Miene abzulesen, was in der Zeitung stand.
    »Ja, darin werden wirklich schlimme Dinge behauptet«, informierte sie ihn. »Aber bisher ist es nur Gerede. Ich muss wissen, ob es zutrifft oder nicht, denn wir können erst dann mit etwas umgehen, wenn wir es kennen.«
    »Was wird aus uns, wenn es wahr is’?«, fragte Scuff.
    Hester hörte die Angst in seiner Stimme. Zugleich verriet ihr das »wir«, dass er sich mit ihrem Schicksal solidarisierte. Dabei war ihr nicht klar, ob er wollte, dass sie das merkte. Auf alle Fälle achtete sie darauf, bei ihrer Antwort einen möglichst beiläufigen Ton anzuschlagen, um ihn nicht noch mehr zu beunruhigen.
    »Wir müssen uns den Vorwürfen stellen. Wenn möglich, werden wir beweisen, dass wir nicht so sind, wie behauptet wird, aber wenn wir keine Gelegenheit dazu bekommen, werden wir uns eine neue Arbeit suchen müssen. Und wir werden eine finden, mach dir da keine Sorgen. Es gibt so vieles, das wir tun können. Ich könnte in meinen Pflegeberuf zurückkehren.Vor der Hochzeit mit Mr. Monk habe ich damit meinen Lebensunterhalt bestritten, weißt du?«
    »Wirklich? Macht Ihnen das Spaß, Kranke zu pflegen? Und dafür kriegt man Geld?« Er starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an, seinen Marmeladetoast in der Hand.
    »Ja, natürlich«, versicherte sie ihm. »Sofern man gute Arbeit leistet, und ich war sehr gut. Ich habe es bei der Armee getan und Soldaten behandelt, die in der Schlacht verletzt worden waren.«
    »Und die sind zu Ihnen gekommen, als sie wieder daheim waren?«
    »Das mit Sicherheit nicht! Ich bin aufs Schlachtfeld gegangen und habe sie dort versorgt, wo sie liegen geblieben waren.«
    Er errötete, dann grinste er sie verlegen an. Sie machte doch sicher einen Witz, auch wenn er ihn nicht verstand.
    Sie wollte ihn aufziehen, sagte sich dann aber, dass er zu verängstigt war, als dass sie ihm jetzt noch mehr zumuten konnte. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben hatte er gerade etwas wie Sicherheit gefunden und dazu Menschen, zu denen er nicht nur Liebe, sondern auch Vertrauen entwickeln konnte. Aber beides war gefährdet und drohte ihm zu entgleiten.
    »Doch, wirklich, ich war auf dem Schlachtfeld«, bekräftigte sie. »Die Soldaten dort brauchen Ärzte und Krankenschwestern. Ich war mit der Armee auf der Krim. Zusammen mit einer ganzen Reihe von Damen. Die Kämpfe wurden ziemlich nahe bei uns ausgefochten. Viele Leute fuhren mit Kutschen auf die Hügel hinauf und beobachteten die Kämpfe von dort aus. Das war für sie natürlich ungefährlich, denn sonst hätten sie es nicht getan. Auch wir Schwestern haben die Schlachten manchmal verfolgt, nur mussten wir danach aufs Feld hinaus, um denjenigen zu helfen, die verwundet worden waren.«
    »War das nich’ schrecklich?«, flüsterte Scuff. Den Toast in seiner Hand hatte er ganz vergessen.
    »O ja. So schrecklich, dass ich am liebsten gar nicht mehr daran denken würde. Aber mit Wegschauen löst man keine Probleme, nicht wahr.« Das war eine Feststellung, keine Frage.
    »Was kann man für Soldaten tun, die ganz schlimm verwundet sind?«, bohrte Scuff nach.

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