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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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andere Burschen gefunden, und die haben bestätigt, was er uns gesagt hatte. Sie alle kannten den Jungen als ›Fig‹.«
    Tremayne wandte sich an Rathbone, doch dieser hielt es für sinnlos, die Identifizierung anzufechten, und verzichtete auf eigene Fragen. Ob es dieser Junge war oder nicht, war für die Anklage unerheblich. Er war in jedem Fall irgendjemandes Kind.
    Tremayne führte Orme in einiger Ausführlichkeit durch die Vernehmungen verschiedener anderer Leute, die bestätigt hatten, den Jungen gekannt zu haben. Einer hatte ausgesagt, dass sein voller Name Walter Figgis lautete. Wie aus einer weiteren aufwendigen Vernehmung hervorging, die Rathbone seinem Kontrahenten in einer abgekürzten Form vorzutragen gestattete, gab es tatsächlich Flussboote, die Kinder aufnahmen. Auf einigen wurden Jungen auf entsetzliche Weise misshandelt. Aber natürlich fehlten Beweise. Klugerweise wies Tremayne selbst darauf hin. Der allgemeine Eindruck genügte, um die Geschworenen und die Zuschauer zu schockieren, viele so heftig, dass sie sich förmlich schüttelten, wenn sie nicht sogar begannen, am ganzen Leib zu zittern. Einigen wurde offensichtlich schlecht, und Rathbone befürchtete schon, sie könnten die Kontrolle über sich verlieren.
    Rathbone selbst wurde sich einer derart tiefen Erschütterung bewusst, wie er sie selten empfunden hatte, und wenn, dann nur in Fällen widerwärtigster Vergewaltigung und Folter. Er blickte zu Phillips hinauf und entdeckte an ihm nichts, was auch nur im Entferntesten an Mitleid oder Scham erinnerte. Eine Welle des Zorns erfasste ihn und drohte ihn zu ertränken. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren, und die Perücke lastete auf einmal schwer wie ein Helm auf seinem Kopf. Die schwarze Seidenrobe schien ihn ersticken zu wollen, als er versuchte, die Arme auszubreiten. Er war darin gefangen!
    Panische Angst packte ihn. War Phillips jenseits menschlicher Gefühle? War er völlig verroht? Und er, Rathbone, hatte versprochen, all seine Fähigkeiten dafür zu verwenden, die Freilassung dieses Mannes zu erwirken, damit er an den Fluss zurückkehren konnte? Unwiderruflich hatte er sich dazu verpflichtet. Er hatte sein Wort nicht nur dem Gerichtshof gegeben, sondern auch Arthur Ballinger und damit indirekt Margaret. Sich jetzt zu weigern, das hieße, den Geschworenen den Schluss nahezulegen, dass er etwas wusste, das jeden Zweifel an der Schuld des Angeklagten ausräumte. Er saß in der Falle des Gesetzes, dem zu dienen sein größtes Bestreben war.
    Ihn beschlich die hässliche Ahnung, dass Phillips das genauso gut wusste wie er selbst. Ja, mehr noch, dass das der Grund war, warum er keine Angst erkennen ließ.
    Sie unterbrachen Ormes Befragung wegen der Mittagspause. Tremayne hatte ihn als einen seiner Hauptzeugen aufgeboten und beabsichtigte, von ihm möglichst schwerwiegende Belastungsmomente zu erfahren, die an sich schon genügen würden, den Angeklagten zu vernichten.
    Nach einem möglichst kurzen Mittagessen begannen sie die Nachmittagssitzung mit Fragen von Tremayne an Orme, die sich auf Durbans Tod bezogen. Rathbone überlegte, wie viel Tremayne tatsächlich wusste. Die ganze Wahrheit über den Fall Louvain und die Versenkung der Maude Idris war nie veröffentlicht worden, und das war auch besser so.
    »Mr. Durban ist letzten Dezember verstorben, ist das korrekt, Mr. Orme?«, vergewisserte sich Tremayne mit einem dem Thema angemessenen ernsten Gebaren.
    »Ja, Sir.«
    »Und Mr. Monk ist ihm als Kommandant der Wasserpolizei in der Hauptwache von Wapping gefolgt?«
    »Ja, Sir.«
    Richter Sullivan verriet erste Anzeichen von Ungeduld. Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. »Steckt hinter all dem eine bestimmte Absicht, Mr. Tremayne? Die Abfolge der Ereignisse scheint deutlich genug. Mr. Durban tat sein Möglichstes, um den Fall zu klären. Als ihm das nicht gelang, setzte er seine Bemühungen in seiner Freizeit fort. Leider verstarb er, und Mr. Monk übernahm seine Stelle und damit vermutlich auch seine Unterlagen, darunter Aufzeichnungen über ungelöste Fälle. Ist es das, oder kommt da noch mehr?«
    Tremayne verlor für einen Moment den Faden. »Nein, Mylord. Ich glaube, die Fakten sind etabliert.«
    »Dann wage ich zu behaupten, dass die Geschworenen keine weitschweifigen Erklärungen benötigen. Fahren Sie fort.« Sullivans Stimme hatte einen gereizten Unterton, und seine Hände, die auf dem großen Pult vor ihm lagen, waren zu Fäusten geballt. Dieser Fall machte ihm keinen Spaß.

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