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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Kraft als vielmehr Gehorsam ausdrückten.
    Monk kannte Hester in all ihren Stimmungen. Das Wechselspiel von Lachen und Kummer in ihren Zügen, das Aufflammen von Zorn, der jähe Schmerz der Reue oder der Blick des Mitleids waren ihm wohlvertraut. Er wusste, welche Macht ihre Gefühle über sie hatten. Inzwischen erschienen ihm die oberflächlichen Emotionen biederer, hübscher Frauen leer und weckten in ihm einen Durst nach Echtem.
    Was konnte beispielsweise Margaret Rathbone im Vergleich zu Hester bieten? Und was konnte ihr fehlen, dass Rathbone darauf verfallen war, Jericho Phillips derart brillant zu verteidigen – sehr richtig, Monk würde sich selbst belügen, wenn er dieser Strategie nicht absolute Brillanz zugestand. Rathbone hatte eine hoffnungslose Situation in eine Angelegenheit voller Würde, gewissermaßen sogar in eine Ehrensache umgewandelt, zumindest oberflächlich betrachtet.
    Aber was kam danach? Was verbarg sich hinter diesem bedeutsamen Sieg im Gerichtssaal, dem Erstaunen der Zuschauer, der Bewunderung für solche Fähigkeiten? Welcher Grund steckte dahinter? Wer hatte ihn für diese Leistung bezahlt? Wenn es eine Gefälligkeit war, wem hatte er sie erwiesen? Wer konnte um etwas bitten oder etwas bieten, das einen Mann, wie Rathbone einer gewesen war, über Nacht veränderte? Früher hatten Hester, Monk und Rathbone gemeinsam große Schlachten ausgefochten, die ihnen alles abverlangt hatten, was sie an Mut, Fantasie und Intelligenz besaßen, denn sie teilten ihren Glauben an Anliegen, die den Einsatz wert waren.
    Aber was konnte Rathbone von diesem Urteil halten, wenn er ehrlich mit sich selbst war? Jericho Phillips war ein böser Mensch. Nicht einmal Rathbone hatte ihn als anständig bezeichnet, sondern einfach betont, dass es ihnen nicht gelungen war, einen über jeden vernünftigen Zweifel erhabenen Beweis für seine Schuld zu erbringen. Die Verteidigung hatte auf juristischen Spitzfindigkeiten beruht, nicht auf der Abwägung von Tatsachen und ganz gewiss nicht auf einer moralischen Beurteilung. Wenn Rathbone wirklich das Gesetz über alles liebte, dann hatte Monk sich in ihm getäuscht, und das war nicht nur ein hässlicher Gedanke, sondern auch ein trauriger.
    Gewiss musste Rathbone etwas Besseres als nur Geld angetrieben haben! Monk weigerte sich zu glauben, sein Motiv könnte derart primitiv und schäbig gewesen sein.
    Das Essen war fertig, und sie setzten sich schweigend an den Tisch. Sie waren nicht in ungeselliger Stimmung, sie hingen nur ihren jeweiligen Gedanken nach – die sich freilich um dasselbe Thema drehten. Monk brauchte Hester zwischendurch nur kurz in die Augen zu schauen, um das zu erkennen, so wie auch sie bei ihm Bescheid wusste. Aber beide waren noch nicht bereit, darüber zu sprechen.
    Sie hatten keine Gerechtigkeit erreicht. Was auch immer Rathbone behauptet hatte, die Anwendung der Gesetze hatte es einem zutiefst schuldigen Mann ermöglicht, das Gericht als freier Mann zu verlassen und seineVerbrechen nach Belieben fortzusetzen. Die Botschaft an das Volk war, dass nicht die Ehre sich durchsetzte, sondern das größere Geschick. Und daran war Monk genauso schuld wie Rathbone. Wenn er seine Pflichten gründlicher erfüllt hätte, wenn er so raffiniert wie Rathbone gewesen wäre, dann wäre Phillips jetzt auf dem Weg zum Galgen. Aber da er es als selbstverständlich vorausgesetzt hatte, im Recht und allein schon deshalb gegen jede Niederlage gefeit zu sein, war er sorglos geworden und Orme in den Rücken gefallen. Orme, der selbst so hart gearbeitet und ihm vertraut hatte. Und auch Durban war er in den Rücken gefallen. Der Fall Phillips hätte Ausdruck seiner Dankbarkeit sein sollen, das Einzige, was er ihm jetzt noch über den Tod hinweg schenken konnte – die ehrenhafte Erfüllung seiner Pflicht.
    Aber indem er Phillips dem Gericht übergeben und dieses seinen Freispruch erwirkt hatte, hatte er verhindert, dass man diesen Mann noch einmal wegen desselben Verbrechens anklagen konnte. Und das war verheerender, als wenn sie ihn überhaupt nicht gefangen hätten. Denn damit war er, Monk, der gesamten Wasserpolizei in den Rücken gefallen.
    Das Selbstvertrauen, der innere Friede, den er sich so hart erkämpft und so hoch geschätzt hatte, glitt ihm durch die Finger wie Wasser. Die brutale Wahrheit war einfach: Er war nicht der Mann, von dem er begonnen hatte zu hoffen und zu glauben, er könnte es sein. Er war gescheitert. Jericho Phillips war schuldig, zumindest des

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