Galgenfrist für einen Mörder: Roman
einkalkuliert haben, was Monk zu Protokoll geben würde.
»Wusste er denn, was ich sagen würde?«, fragte er schließlich im Schatten eines der mächtigen, dicht belaubten Bäume. »Bin ich so berechenbar, oder hat er mich irgendwie manipuliert?«
Darüber dachte Hester einen langen Moment nach. »Beides, denke ich«, sagte sie schließlich. »Seine Fähigkeit besteht darin, seine Fragen so zu stellen, dass man ihm eigentlich nur eine Antwort geben kann. Er hat ein Bild von Durban als überemotionalem Menschen gemalt und dann von dir wissen wollen, ob du auch so betroffen warst. Und das hättest du wohl kaum bestreiten können.« Sie runzelte die Stirn. »Ich verstehe ja das Prinzip, dass Beweise die Grundlage der Rechtsprechung sein müssen und nicht Liebe oder Hass. Das ist hart, aber es ist wahr. Man kann jemanden nicht verurteilen, nur weil man ihn nicht mag. Aber eines will mir nicht in den Kopf: Warum hat Oliver ausgerechnet diesen Fall gewählt, um das zu demonstrieren? Ich hätte schwören können, dass er Phillips genauso widerwärtig findet wie wir. Irgendwie ist das …« Sie suchte nach dem treffenden Ausdruck. »Pervers.«
Damit bestätigte sie Monk in seiner Auffassung. »Allerdings. Das ist nicht mehr der Mann, der er früher war … oder?«
Sie verließen den Park und spazierten Seite an Seite zur Paradise Place hinunter.
»Nein«, seufzte Hester schließlich, als sie ihre Haustür erreichten und Monk aufsperrte. Drinnen roch die Luft nach dem warmen Tag ein wenig abgestanden, aber ihnen wehte auch ein wohltuender Hauch von Lavendel und Bienenwachs entgegen, und außerdem duftete es nach frisch gewaschener Wäsche, die in der Küche an der Trockenstange hing. Zweimal in der Woche kam ein Dienstmädchen zu ihnen, das bei der Hausarbeit half, und heute war es in ihrer Abwesenheit hier gewesen.
Hester blieb im Flur stehen und drehte sich zu Monk um. »Glaubst du, dass er sich wirklich so sehr geändert hat, wie es den Anschein hat?«
Darauf wusste Monk keine Antwort. Erst jetzt wurde ihm klar, wie gern er Rathbone trotz der Unterschiede zwischen ihnen mochte. Wenn sein Freund nicht mehr die Prinzipien hochhielt, die ihm früher heilig gewesen waren, dann hatte auch Monk etwas verloren. »Ich weiß es nicht«, sagte er aufrichtig.
Hester nickte. Ihre Lippen waren fest aufeinandergepresst. Schweigend ging sie voran in die Küche, und Monk folgte ihr. Während er sich auf einen der Stühle mit der hohen, harten Lehne setzte, füllte sie den Wasserkessel und stellte ihn auf den Herd. Er wusste, dass die Verwandlung, die sich in Rathbone vollzogen hatte, auch Hester schmerzen musste, sogar noch mehr als ihn selbst. Die Leute änderten sich eben, wenn sie heirateten, manche bloß ein bisschen, andere ganz gewaltig. Auch er war seit der Hochzeit mit Hester nicht mehr derselbe, auch wenn er glaubte, dass der Wandel bei ihm nur Gutes bewirkt hatte. Er gab es nicht gern zu, aber im Rückblick erkannte er, dass er früher schwerer zufriedenzustellen gewesen war, die Geduld schneller verloren hatte und nur allzu bereit gewesen war, in anderen hauptsächlich das Hässliche und das Schwache zu sehen. Das Glück hatte ihn milder werden lassen. Das war ein Grund für Dankbarkeit, aber nicht für Stolz. Stolz wäre höchstens dann angebracht gewesen, wenn die Veränderung zum Besseren eingetreten wäre, auch ohne dass er vorher inneren Frieden oder Heilung von den Wunden der Einsamkeit gefunden hätte.
Falls der Wandel bei Rathbone mit Margaret zu tun hatte, würde das einen noch größeren Verlust für Hester bedeuten, denn auch Margaret war bisher ihre Freundin gewesen. Sie hatten zusammen wichtige Arbeit geleistet und ihren Schmerz, ihre Furcht und mehr als nur einen kleinen Teil ihrer Träume miteinander geteilt.
Monk sah zu, wie Hester schweigend das Abendbrot zubereitete. Es war sehr schlicht, nichts, was neu gekocht werden musste – in der Sommerhitze war eine kalte Mahlzeit nicht nur leichter, sondern auch angenehmer. Es tat unendlich gut, Hester zu betrachten, während sie sich zwischen den Regalen hin und her drehte, fand, was sie brauchte, und zügig hackte, schnitt und anrichtete. Ihre Hände waren schmal und flink und ihre Bewegungen voller Anmut. Nicht jeder Mann mochte sie für schön halten; sogar Monk hatte sie nicht besonders gefallen, als sie sich kennengelernt hatten. Sie war einfach zu dünn. Momentan waren weit üppigere Kurven in Mode und dazu Gesichter, die weniger Leidenschaft und
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