Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
eines Jugendlichen weniger wertvoll sein als die eines Erwachsenen? Sie ist zügellos, besitzt einen Hang zum Wahnsinn, es mangelt ihr an den Verteidigungsmechanismen und am Zynismus der späteren Jahre. Die erste Liebe brennt sich tief in ein Herz ein, das noch nicht vollständig entwickelt ist. Als ritzte man seine Initialen in die Rinde und entdeckt sie später groß und stolz auf einem ausgewachsenen Baumstamm wieder. In der Gewissheit, dass sie die eigene Lebensspanne überdauern und noch lange nach dem Tod den Wechsel der Jahreszeiten miterleben.
Natürlich hatte es seit Fiona weitere Freundinnen und Liebschaften gegeben. Nette Frauen, aufgeweckte Frauen, Frauen, die mit mir gespielt hatten, und auch Frauen, die ihr restliches Leben mit mir verbringen wollten. Aber ich war dafür nicht nur viel zu beschäftigt, sondern auch allzu wählerisch. Sie alle mussten sich den Vergleich mit Fiona gefallen lassen und zogen dabei den Kürzeren.
Ich blickte auf das zerstörte Gesicht vor mir. Jetzt konnte ich nicht mehr zuschlagen. Seit jenem Tag im Park hatte ich weder mit Hugh noch mit Fiona ein weiteres Wort gewechselt. Nur von anderen gehört, dass sie immer noch mächtig ineinander verknallt waren. Und dann heiratete Fiona plötzlich einen anderen Mann. Warum? Und wieso nicht mich? War ich nicht einmal zweite Wahl gewesen? Und sie hatte ihrem Ehemann, diesem Glückspilz, einen Sohn beschert. Warum nicht mir, Fiona?
Spielte die Vorgeschichte irgendeine Rolle bei der Ermordung ihres kleinen Jungen? Der Hugh, den ich kannte, wäre zu so etwas niemals fähig gewesen, schon gar nicht zur Tötung von Fionas Kind, großer Gott! Aber galt das auch jetzt noch? Schließlich kannte ich es aus eigener Erfahrung, wie die härtesten Kerle, wenn sie zwei Tage lang in einem Fuchsbau in der Wüste Bombardierungen durchgestanden hatten, völlig ausrasteten. Und ich selbst schreckte nach wie vor mitten in der Nacht in völlig durchgeschwitzten Laken aus dem Schlaf hoch, weil ich geträumt hatte, von Panzern überrollt zu werden. Welche Nachwirkungen mochte da erst eine Verbrennung bei lebendigem Leib nach sich ziehen?
Vor meinem Besuch hatte ich einen alten Kollegen bei der Glasgower Polizei angerufen, der mir erzählte, dass im Laufe des vergangenen Jahres fünf Jungen spurlos verschwunden waren – drei davon im East End, zwei in den Gorbals. Nur der letzte war tot aufgefunden worden. Man hatte Fionas Sohn Rory im hinteren Teil eines Mietshauses im Kohlenkeller entdeckt. Nackt. Vergewaltigt. Gott sei seiner Seele gnädig. Am folgenden Morgen nahm die Polizei Hugh Donovan in seiner Einraumwohnung in den Gorbals fest. Darin fanden sich eindeutige Beweise, dass Hugh Rory ermordet hatte, nicht zuletzt die Kleidung des Jungen.
Und hier saß nun also Hugh Donovan und beteuerte, er wäre es nicht gewesen. Und trotz allem, was er mir angetan hatte, hätte ich ihm gern geglaubt. Mich an die Gewissheit geklammert, dass niemand, den ich kannte, zu derart entsetzlichen Dingen fähig war. Doch die Tatsachen sprachen dagegen. Und es gab auch ein Motiv: krankhafte Rache an einer treulosen Geliebten und ihrem verstorbenen Ehemann.
»Erzähl mir alles, Hugh. Wie ist die Kleidung des Jungen in deine Wohnung gekommen?« Ich holte mein Notizbuch und einen Bleistift aus der Tasche, um ihn zum Reden zu bringen. Bei Recherchen für die Zeitung zeigte das meistens Wirkung.
Er schüttelte nur den Kopf und verbarg das Gesicht in den Händen. »Das wird absurd klingen.« Mit gehetztem Blick warf er die Arme hoch. »Ich weiß es nicht, Dougie! Ich weiß nicht, wie die Kleidung dorthin gekommen ist, das ist die reine Wahrheit!«
»An was erinnerst du dich? Ich meine, was ist das Letzte, was du noch weißt, ehe ...«
»Ehe sie mich dort fanden? Und fortbrachten? Hierher brachten?«
Ich nickte.
»Hör mal, ich erzähl dir wohl besser ein bisschen was über die letzten paar Monate. Wie ich Fiona wiederbegegnet bin.«
Was jetzt folgt, basiert alles auf seinen Erzählungen und den Notizen, die ich mir als ehemaliger Polizist und aufstrebender Reporter gemacht habe.
5
Hugh Donovan trug seinen Hut bei jedem Wetter und schlug auch stets den Kragen hoch, selbst in Pubs – nein, besonders in Pubs, um die anderen Gäste nicht zu erschrecken. Das hatte er sich seit dem Tag angewöhnt, als man ihn aus dem Krankenhaus in East Grinstead entließ und er in den Zug nach Norden stieg. Er fürchtete sich entsetzlich vor der Zukunft. Fast zwei Jahre lang hatte er
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