Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
niemanden, der ihn in der Klinik auf die handverlesene Liste der Arzneimittelempfänger setzen konnte. Lediglich ein früherer Militärarzt empfand Mitleid mit ihm und erklärte sich bereit, ihm einmal in der Woche, jeweils montags, eine Morphiumspritze zu verpassen. An den Dienstagen schwebte Hugh auf Wolke sieben, mittwochs war der Schmerz dann noch halbwegs erträglich. Alle anderen Tage glichen einem Albtraum und seine Gedanken kreisten nur um den nächsten Montag, der ihm wieder Erleichterung verschaffen würde.
Also hielt er sich zusätzlich an Scotch, der die Schmerzen zumindest vorübergehend betäubte. Aber bald schon bereiteten ihm die zerfransten, verbrannten Nervenenden wieder stechende Schmerzen, sodass er meist mit einem schlimmen Kater aus dem gerade mühsam erkämpften Schlaf hochfuhr. Manchmal weckte sein Stöhnen die Leute in der Nachbarwohnung, und dann hämmerten sie so lange gegen die Wand, bis er sich still verhielt.
Deshalb kam ihm der Mann, den er in Doyle’s Pub kennenlernte, wie der Heiland persönlich vor. Er verkaufte schmutzig-braune Klümpchen aus Chemikalien, die man erhitzte, bis sie sich verflüssigten. Dann injizierte man sich das Zeug in eine Vene.
Danach verspürte Hugh augenblicklich Erleichterung. Es war, als hätte Gott persönlich ihm Balsam zugeteilt, der sogar stärker anschlug als die Morphiumspritze in der Klinik. Diese Droge half ihm über die Tage von Mittwoch bis Montag hinweg. Für ein, zwei Stunden beförderte sie ihn sogar in ein Land äußerster Glückseligkeit, in dem er keine Schmerzen mehr verspürte. Kein Wunder, dass er schon bald täglich darauf zurückgriff. Ebenfalls kein Wunder, dass seine klägliche Rente von der Armee vollständig für das Heroin draufging.
Zwangsläufig geriet er an den Punkt, an dem der tägliche Fix nicht mehr ausreichte. Sein Körper verlangte mehr, als er sich leisten konnte. Doch glücklicherweise wusste sein Heiland eine Lösung: Hugh begann, das Zeug selbst zu verticken, und erhielt seine Provision in Form von Heroin ausgezahlt.
»Also bist du zum Junkie geworden? Und hast sogar selbst mit dem Zeug gedealt? Um Himmels willen, Shug!«
Er sah mich mit gequältem Blick an. »Ich hab gesehen, dass du humpelst. Eine Kriegsverletzung?«
Ich nickte. »Ist auf Sizilien passiert. Meistens merke ich gar nichts mehr davon. Nur wenn ich müde werde.«
»Hat man dir auch Morphium gespritzt?«
Ich erinnerte mich mit so warmen Gefühlen daran wie an eine Liebesaffäre. Mir fiel das glückselige, schwebende Gefühl nach der ersten Injektion ein, die mir ein Sanitäter im Rettungswagen verpasst hatte. Als wir die holprigen Straßen entlangfuhren, spürte ich weder Stöße noch Schlaglöcher. Viele weitere Morphiumspritzen folgten und entführten mich jedes Mal aufs Neue in ein Wunderland voller Geborgenheit und Glückseligkeit. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis ich wieder ohne diese Spritzen auskam.
»Tut mir leid, Hugh. Es ist nur ... was anderes, wenn man das Zeug auch noch verkauft, oder?«
Er zuckte die Achseln. »Ich dachte, die Schmerzen würden mich in den Wahnsinn treiben.«
»Und was ist mit dem Jungen? Was ist mit Fiona?«
Es war reiner Zufall gewesen. Er sah sie aus dem kleinen Supermarkt in der Cumberland Street herauskommen. Sie fiel ihm sofort wegen ihrer unverwechselbaren Gangart auf, die er so gut kannte. Aber sie hatte ein Kind bei sich, einen sechs- oder siebenjährigen Jungen, der nicht nur die keltisch-dunklen Augen mit seiner Mutter teilte, sondern auch das freundliche Gesicht. Als Fiona vorbeiging, zog er sich in eine Hauseinfahrt zurück. Sie wies ihren Sohn an, beim Gehen nicht so zu schlurfen, und da erkannte er auch ihre Stimme wieder.
So unauffällig wie möglich folgte er ihr über das Kopfsteinpflaster bis zu einem Hauseingang in der Kidston Street, die im Winkel von 90 Grad zu der Straße verlief, in der er wohnte, der Florence Street. Er beobachtete, wie sie im Hausflur verschwand, und stellte sich dabei die Frage, was für ein Mensch ihr Mann sein mochte. Und auch, ob ich wohl noch Kontakt zu Fiona hatte.
Er gewöhnte es sich an, zwischen der Cumberland Street und der Kidston Street herumzuhängen. Im Laufe der folgenden Wochen sah er sie mindestens vier- oder fünfmal, meistens zusammen mit dem Jungen, aber nie mit einem Mann an ihrer Seite. Einmal folgte er ihr und dem Jungen bis zu den Bänken unter den Bäumen am Hutcheson Square. Er setzte sich ihr gegenüber auf eine Bank und tat so, als
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