Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
gut wie nie erwähnt. Sich mit einem katholischen Mädchen zu treffen, war in den Augen meiner protestantischen Eltern fast so schlimm wie ein Kreuzchen für die Tories auf dem Wahlzettel. Meine Freundschaft mit Hugh tolerierten sie ausschließlich deswegen, weil er direkt nebenan wohnte.
»Wieso hab ich von dir nichts darüber erfahren?«
Sie wirkte verlegen. »Ich dachte, dir geht schon genug im Kopf herum und du hättest davon gehört und beschlossen, nichts dazu zu sagen. Du rufst ja nicht gerade oft an. Oh, ich weiß ja, was für’n Theater das jedes Mal ist.«
Das stimmte. Es bedeutete nämlich, dass ich bei Mrs. Cuthbertson anklingeln musste, damit sie die Treppe hinauflief und meine Mutter holte. Und die geriet dann jedes Mal in Panik, dachte, es sei irgendwas Schlimmes passiert, und brüllte in den Hörer, weil sie ja so weit weg war. Was ich als beiläufige freundliche Geste empfand, entwickelte sich auf diese Weise zu einem wahren Albtraum. Briefe machten weniger Umstände und hielten länger vor. Ich las die sorgfältig zu Papier gebrachten Zeilen meiner Mutter immer mindestens zwei- oder dreimal, nur um zu erfahren, was im Ort gerade geklatscht und getratscht wurde. Aber es gab natürlich Dinge, die man einfach nicht schreiben konnte.
»Es ist meine Schuld, Mum. Weißt du, was ich tun werde? Ich lass dir in der Wohnung ein eigenes Telefon installieren. Und mach dir keine Sorgen, ich zahl die Rechnungen.«
Sie sah mich bestürzt, fast ängstlich an. »Oh, ich will aber nicht, dass das Ding mitten in der Nacht läutet. Für was brauch ich es überhaupt? Alle, mit denen ich reden will, sind ja nur ein paar Schritte weg. Außer dir natürlich.«
Nachdem wir uns Tee nachgeschenkt hatten, schaute sie mir in die Augen. »Hat er’s getan, Douglas?«
Wie üblich hatte ich die Fähigkeit meiner Mutter unterschätzt, auch unvorstellbar schlimme Ereignisse zu verarbeiten. Sie hatte die ganze Geschichte, in die Hugh verwickelt war, so gelassen und vernünftig aufgenommen, als wäre er lediglich beim Schuleschwänzen erwischt worden.
»Aus den Tatsachen kann man kaum andere Schlüsse ziehen.«
»Aber?«
»Aber es bleiben jede Menge Fragen offen.«
»Welche zum Beispiel?«
»Die wichtigste Frage ist: Warum? Wieso hätte Hugh so etwas tun sollen? Der Junge wurde eine Woche lang vermisst. Als die Polizei Hughs Wohnung gleich am Anfang durchsuchte, fand sie nichts. Dann entdeckte man den Leichnam draußen vor Hughs Wohnung in einem Kohlenkeller und in seinem Zimmer tauchte plötzlich jede Menge Beweismaterial auf, das auf ihn als Mörder hindeutete. Wo hat er den Jungen denn die ganze Woche über versteckt? Wieso hat niemand was gesehen oder gehört? Wer hat der Polizei den Hinweis gegeben, ausgerechnet in diesem Kohlenkeller nachzusehen? Und was ist mit den anderen vier vermissten Jungen? Falls wirklich Hugh der Mörder ist, wie hat er es dann geschafft, den Kleinen so lange ruhigzustellen? Warum hat er Rorys Leichnam genau dort abgeladen, wo man ihn leicht finden konnte? Aus Nachlässigkeit? Oder weil er sich so sicher fühlte? Mag ja sein, dass man ihm all diese Fragen vor Gericht gestellt hat und die Antworten trotz allem seine Schuld bestätigten. Ich weiß es nicht.«
Eine Weile schwiegen wir beide. Sicher dachte meine Mutter genau wie ich an den kleinen, übel zugerichteten Körper, der im dunklen Kohlenkeller gelegen hatte, und an die vier Jungen, die nach wie vor vermisst wurden. Schließlich schüttelte sie den Kopf, als gäbe ihr das Böse in dieser Welt unlösbare Rätsel auf. Im flackernden Feuerschein glänzte ihr Haar silbrig.
»Wann ist es so weit?« Was sie meinte, war: Wann werden sie ihn aufhängen?
»In vier Wochen. Am 13. April.«
»Und was wirst du jetzt tun?«
Sie sagte nicht: Das geht dich alles nichts an. Halt dich raus aus dieser Geschichte, die zum Himmel stinkt. Was sollen die Nachbarn denken? Ihre Frage zielte nicht darauf ab, mich davon abzubringen, dass ich mich in den Fall einmischte.
»Ich weiß es nicht. Die Chancen stehen schlecht für ihn. Und die Zeit arbeitet gegen ihn. Wahrscheinlich wär’s vergebliche Liebesmüh, irgendwas zu unternehmen.«
»Aber du hast gesagt, es gibt offene Fragen.«
»Stimmt. Doch wer wird sie beantworten?«
Sie musste irgendetwas in meinem Gesicht gelesen haben, noch ehe ich es mir selbst eingestanden hatte, denn sie nickte plötzlich. »Genau wie dein Vater. Der musste den Dingen auch immer auf den Grund gehen.«
»Falls Hugh es
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