Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
wie ein Bettler da und hatte keine Alternative zur Hand. Danach streifte ich mir das Hemd über und allmählich wich die Kälte aus meinem Körper. Schließlich holte Sam noch ein Paar Schuhe aus dem Wagen, außerdem todschicke Socken mit Rautenmuster.
Die Socken waren ein wahrer Luxus, und die Schuhe – na ja, solide, gut ausgetreten und so blank poliert, dass sie im Mondlicht wie Fischschuppen schimmerten. Und mindestens eine Nummer zu groß. Aber die Schuhbänder boten auch da Abhilfe. Schließlich stand ich als neuer Mensch da, als gründlich getaufter Wiedergeborener. Halleluja. Sam sah zu, wie ich mich vor ihren Augen verwandelte, musterte mich kritisch und nickte schließlich zufrieden.
Nachdem sie den Riley gestartet hatte, begleitete uns das konstante Surren des leistungsstarken Motors durch die Nacht. Während der Fahrt erzählte ich ihr meine Geschichte, wobei ich mit dem Vorfall auf der Fähre begann und erst danach von dem Gespräch mit Mrs. Reid berichtete. Ich sah, wie sich ihr Kiefer vor Wut anspannte und dann fassungslos herunterklappte.
»Pater Cassidy! Da muss die Frau sich irren, weil sie so durcheinander ist. Das kann nicht sein!«
»Möglich. Aber wie erklären Sie sich meine Seebestattung?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Wer außer Ihnen und Cassidy wusste, wo ich hinwollte? Und ich gehe davon aus, dass Sie auf meiner Seite stehen.«
Sie schwieg eine Weile und hämmerte dann auf das Lenkrad. »Das kann einfach nicht stimmen. Das wäre so ungeheuerlich, dass mir die Worte dafür fehlen.«
Ich erwiderte vorläufig nichts, damit sie sich auf eine enge Kurve nahe Greenock konzentrieren konnte. Im Mondlicht wirkte es, als stolzierten die großen Baukräne quer durch die Landschaft bis zum Clyde hinunter. Ich nahm mir vor, bei meinem nächsten Besuch in der Bibliothek die Strömungen und Gezeiten im Firth of Clyde nachzuschlagen. Schließlich drehte ich mich wieder zu ihr hinüber. Sie starrte angespannt auf die Straße vor sich und schob sich hin und wieder die Brille höher auf die Nase. Ein schönes Profil, allerdings mit allzu vielen Sorgenfalten.
»Nur Sie, Pater O’Brien und Pater Patrick Cassidy kannten mein Reiseziel – es sei denn, ich wurde unbemerkt beschattet. O’Brien kommt als Drahtzieher wohl kaum infrage, schon deshalb nicht, weil er kein nachvollziehbares Motiv besitzt. Und an die Beschattungstheorie glaube ich ebenfalls nicht. Ich bin geübt darin, Verfolger auszumachen, und die beiden Kannibalen aus Dermot Slatterys Bande hätte ich ganz bestimmt nicht übersehen.«
»Wollen Sie tatsächlich behaupten, dass Pater Cassidy Ihnen eine Falle gestellt hat? Dass er mit Slattery gemeinsame Sache macht und ...« Sie suchte nach den passenden Worten.
»Und meine Beseitigung eingefädelt hat. Ja, sieht ganz danach aus.«
»Aber wieso hat Cassidy uns dann den Kontakt zu dem Priester auf Arran vermittelt? Warum hätte er Ihnen die Suche nach der Familie Reid erleichtern sollen?«
»Zu einer Begegnung mit Mrs. Reid wäre es normalerweise gar nicht gekommen.«
»Oh ... Stimmt, Sie sollten ja die Fähre am Morgen nehmen, nicht die am Vorabend.«
»Und Fergie und sein Kumpel hätten mich dann schon auf der Hinfahrt den Fischen zum Fraß vorgeworfen. Sie konnten ihre Pläne nicht mehr rechtzeitig ändern.«
»Aber ich wusste doch, wohin Sie wollten. Selbst wenn Sie ... verschwunden wären, hätte ich die Sache weiterverfolgt, oder nicht?«
»Wenn man Sie nicht ebenfalls daran gehindert hätte.«
Ihr Kiefer spannte sich wieder an. Beide schwiegen wir eine Zeit lang.
»Ihnen ist doch klar, was das für das Berufungsverfahren bedeutet?«
»Nur, wenn Mrs. Reid an ihrer Aussage festhält. Sie hat Todesangst vor irgendetwas oder irgendjemandem. Ich glaube, ihre Kinder wurden bedroht. Vielleicht haben die Gangster sie jetzt sogar in ihrer Gewalt. Deshalb will ich im Moment noch nicht die Polizei einschalten.«
»Aber wie sollen wir die Geschichte dann beweisen?«
»Am besten, wir schauen beim guten alten Pater vorbei, sobald die Sonne aufgegangen ist. Gucken mal nach, wie viele Ave Marias er zur Buße dafür betet, dass er mir Mörder auf den Hals gehetzt hat. Ich weiß ja nicht, wie solche Leute die Höhe ihrer göttlichen Strafe berechnen, aber meiner Meinung nach müsste er noch bis Weihnachten auf den Knien herumrutschen.«
Wir parkten den Wagen in der Garage hinter dem Haus. Sam überredete mich dazu, erst einmal ein Bad zu nehmen. Danach servierte sie mir ein Stück
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