Galgentochter
ohne Mann ist nichts wert. Deshalb suche ich ihn. Lieber einen Mann, der prügelt, als ohne Mann sein.»
«Hmmm», machte Hella und wusste sonst nichts zu sagen.
Ihr verstorbener Vater, einst Richter, dann zweiter Bürgermeister, hatte nie die Hand gegen ihre Mutter erhoben. Und Heinz? Der drohte mit dem Finger, doch gleich darauf herzte er sie wieder. Nie würde sie ihren Heinz los sein wollen. Ohne Heinz, nein, das wäre kein Leben. Da war sich Hella beinahe ganz sicher.
«Was soll ich jetzt tun?», fragte die Gewandschneiderin.
«Zuerst einmal muss ich Euch noch ein paar Fragen stellen. Hatte der Eure Feinde? Hatte er Händel oder Streit mit irgendwem?»
«Gott, ja. Feinde! Wer hat die nicht? Zunftmeister wäre er gern geworden, aber der Meister Amedick ist es nun, weil er mehr Geld in die Lade tun konnte. Die beiden können sich nicht riechen seither.»
«Und sonst?»
Die Vossin zuckte mit den Achseln. «Die Geschäfte laufen nicht mehr so gut, seit Amedick Zunftoberer ist. Wenn große Aufträge kommen, dann teilt Amedick sie unter seinen Getreuen auf, und der Meine geht leer aus. Früher, ja, da hatten wir reiche Kundschaft, da kamen die Patrizierund ihre Frauen. Jetzt gehen sie zu Amedick. Zu uns kommen die Handwerker, aber es ist immer das Gleiche: Statt eines Kleides von Brokat wollen sie nur einfaches Tuch mit Brokatborten, statt seidener Unterkleider bestellen sie Unterkleider aus Leinen. Statt Mailänder Samt den billigeren aus dem Osten.»
«Hat der Eure Schulden?»
«Was weiß ich? Der Mann lässt sich nicht in die Bücher sehen. Früher, ja, da habe ich die Bücher geführt. Seit Amedick Zunftoberer ist, macht er es selbst. Nicht einmal hineinschauen darf ich.»
«Hat Amedick den Euren bedroht oder der Eure den Amedick?»
Die Gewandschneiderin schüttelte den Kopf. «Der Amedick interessiert sich nicht für uns. Ginge der Meine nicht immer in die Zunftstube, hätte er wohl schon vergessen, dass es ihn gibt. So ist das.»
«Hmm», machte Hella wieder. «Was ist mit Frauen? Hat er ein Liebchen?»
Das Blut schoss der Vossin in die Wangen. «Ich weiß von nichts», sagte sie leise.
Hella verstand. «Die Leute reden, nicht wahr?»
Die andere nickte.
«Wenn ich dem Richter vom Verschwinden Eures Mannes erzähle, müsst Ihr aufs Malefizamt und ein Protokoll unterschreiben. Oder, wenn Ihr nicht schreiben könnt, Kreuze machen.»
«Nein, Blettnerin, wartet damit. Vielleicht ist er über Land gefahren, nach Mainz vielleicht, um neue Stoffe zu kaufen.»
«Das glaubt Ihr doch selbst nicht», widersprach Hella. Sie stand auf, reichte der Gewandschneiderin die Hand.«Sorgt Euch nicht zu sehr, Vossin. Er kommt bestimmt wieder, habt nur Geduld.»
Die Gewandschneiderin wollte Hellas Hand gar nicht mehr loslassen. «Ich danke Euch. Es hat gutgetan, mit Euch zu reden. Jetzt ist mir leichter. Er wird schon wiederkommen. Schließlich ist er immer wiedergekommen.»
Als sie fort war, holte Hella ihren Umhang und machte sich auf den Weg zum Markt. Vor der Wechselstube nahe dem Römer blieb sie stehen und spähte durch die Fenster. Erst als sie sich versichert hatte, dass die Stube leer war, trat sie ein.
«Gott zum Gruße, Frau Hinterer.»
«Gott zum Gruße, Hella. Was kann ich heute für dich tun?»
Hella betrachtete die mollige Frau mit dem langen roten Haar, die hinter der Wechselbank saß und sie neugierig anschaute. Jutta Hinterer war stadtbekannt. Nicht nur, weil sie alle Währungen, die derzeit im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation in Umlauf waren, im Kopf in Frankfurter Mark umrechnen konnte. Ganz gleich, ob es sich um rheinische Gulden, Goldflorin, venezianische Dukaten, Heller, Pfennige, Solidii, Taler oder Denar handelte. Nein, Jutta Hinterer wusste auch stets, was in der Stadt Frankfurt vor sich ging. Keine Wirtshausprügelei, keine heimliche Liebschaft, keine ungewollte Schwangerschaft und kein Nachbarschaftsstreit blieb ihr verborgen.
«Ach», winkte Hella ab. «Gekommen bin ich nur, um zu sehen, wie es Euch geht. Und dem Vater natürlich.»
Jutta Hinterer war Witwe und lebte mit ihrem Vater, einem ewig kränkelnden Greis, zusammen.
«So? Wie es mir geht, willst du wissen, Kind?»
Hella nickte.
«Aha. Wenn deine Mutter, meine Freundin Gustelies, kommt, dann weiß ich, dass es ums Kochen und um die heilige Hildegard geht. Vielleicht braucht sie einen Rat für ihren Schmantkuchen, vielleicht hat sie ein Gewürz bekommen, das ich noch nicht kenne, vielleicht will sie meine Meinung
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