Galgentod
geschieht? Sie leben mit Mirna dasselbe noch einmal durch, was Sie vor Jahren selbst mitgemacht haben. Mit Mirna kommt alles noch mal hoch. Das lässt Sie doch bestimmt nicht kalt.«
»Ich habe Bertram Andernach nicht aufgehängt«, wehrte sich Yannik nur noch schwach.
»Wenn das so ist, dann haben Sie bestimmt nichts dagegen, bei uns vorbeizukommen und eine DNA-Probe abzugeben.«
Yannik schüttelte den Kopf.
»Schön. Das wäre also schon mal geklärt«, meinte Schnur und fragte weiter: »Warum ruft Lara Ferringer ausgerechnet Sie an, um Ihnen von dem toten Lehrer zu berichten?«
Yannik dribbelte nervös hin und her und antwortete: »Sie konnte den Andernach nicht leiden, weil er sie erst vor kurzem ziemlich blamiert hatte. Die Sache hatte wohl noch jeder aus der Schule gut im Gedächtnis. Deshalb wollte sie, dass ich ihn so filme und ins Internet stelle – Sie wissen schon, mit runtergelassener Hose. Aber nicht nur mit Handy, sondern mit einer richtigen Kamera, damit die Bilder auch richtig scharf werden und man darauf alles erkennen kann.«
»Okay. Wir werden das überprüfen«, stellte Schnur klar. »Und Sie kommen zu uns zur DNA-Untersuchung. Wenn nicht, dann kommen wir zu Ihnen – und das sieht für Sie nicht gut aus.«
Yannik nickte schwach.
Jürgen Schnur und Erik Tenes verließen die Wohnung und das Appartementhaus. Schnell stiegen sie in den Dienstwagen ein, schalteten die Klimaanlage an und machten sich auf den Rückweg zur Kriminalpolizeiinspektion.
Kaum hatte Erik sich in den Verkehr eingefädelt, da drang ihm die Frage ans Ohr, die er lieber nicht gehört hätte: »Was hat das zu bedeuten, dass du mit Mirna in der Nacht allein durch die Gegend fährst?«
»Ich bin nicht mit Mirna allein durch die Gegend gefahren, sondern habe sie nach Hause gebracht«, korrigierte Erik.
»Warum muss ich dabei an den Gesang der Sirenen denken, denen selbst Odysseus kaum widerstehen konnte?« Damit überging Schnur einfach Eriks Kommentar.
»Das siehst du falsch«, wehrte sich Erik.
»Klar. Seit ich dein Vorgesetzter bin, sehe ich alles falsch«, gab Schnur gelassen zurück.
Erik verstummte. Er durfte Jürgen Schnur nicht unterschätzen. Außerdem wollte er auch die Freundschaft nicht riskieren. Deshalb zog er es vor, nichts zu erwidern.
»Warum hast du Mirna Voss nach Picard gefahren, wo sie doch in der Wohnung neben deiner – bei Yannik Hoffmann wohnt?«
»Sie sagte, sie hätte keinen Schlüssel zu der Wohnung. Also habe ich sie in Picard vor ihrem Haus abgesetzt. Dann bin ich wieder gefahren.«
»Sonst war nichts?«
»Doch«, fiel Erik wieder ein. »Ein Mann hat ihr aufgelauert.«
»Aufgelauert?«
»Ja. Er kam plötzlich aus dem Gestrüpp. Als ich mit ihm sprechen wollte, ist er weggerannt.«
»Das ist mehr als seltsam. Wer war dieser Mann?«
»Nach Mirnas Auskunft war es Fred Recktenwald, ihr Nachbar.«
Schnur überlegte kurz, bevor er sagte: »Der Name taucht in einem der Berichte auf, die Andrea geschrieben hat. Was wissen wir über ihn?«
»Nicht viel«, gestand Erik.
»Dann wirst du ab sofort mehr über Fred Recktenwald herausfinden.«
Kapitel 36
Günter Laug hastete mit trockener Kehle und zittrigen Knien in Richtung Sporthalle. Die Unterrichtsstunde war ihm so schwer gefallen wie noch nie. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Die Schüler hatten das gemerkt und keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen, ihn zu hänseln.
Seit Andernachs Ermordung war seine Kollegin Mathilde Graufuchs nicht mehr zum Dienst erschienen. Angeblich konnte sie sich nicht überwinden, an diesen schrecklichen Ort zurückzukehren. Doch heute war sich Laug nicht mehr so sicher, ob diese Erklärung der Wahrheit entsprach. Womöglich fürchtete sich Mathilde Graufuchs, das nächste Opfer zu sein, wagte sich aber nicht, das vor den Kollegen auszusprechen.
Laug bekam diesen unangenehmen Gedanken nicht mehr aus dem Kopf. Das lag wohl daran, dass Mathilde sich an diesem Morgen nicht abgemeldet hatte. Sie fehlte unentschuldigt. Das entsprach nicht ihren Vorstellungen von Pflichtbewusstsein, die sie jedem predigte, ob er es hören wollte oder nicht.
Laug bemerkte die bösen Blicke der Schüler, die er im Eilschritt passierte. Umso getriebener fühlte er sich – wie ein gehetztes Tier. Ein Bier würde seine Nerven wieder beruhigen. Deshalb durfte ihn jetzt nichts und niemand aufhalten.
»Johnny Walker«, begann einer der Schüler laut zu singen.
Laug kannte das Lied. Es war von Marius
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