Galgentod
Müller-Westernhagen.
»Du bist mein bester Freund«, sangen inzwischen mehrere Stimmen.
»Johnny Walker, du hast mich nie enttäuscht!« Die Stimmen hoben an, wurden immer lauter.
Laug schaute sich um und sah nur hämische Gesichter.
»Johnny Walker – komm her und tröste mich«, ging der Text weiter. Dann brachen sie abrupt ab und lachten so laut, dass es in Laugs Ohren dröhnte.
Oder fürchtete sich Mathilde vor den Schülern? Dieser Gedanke drängte sich ihm nahezu auf. Seit dem Tod des Kollegen war die Stimmung umgeschlagen. Aus Gleichgültigkeit wurde Hass – eine bedrohliche Entwicklung. Die Schüler fühlten sich mächtiger denn je. Sollte wirklich einer von ihnen zu dieser schrecklichen Tat fähig gewesen sein? Der Gedanke machte seinen Durst noch quälender. Er beschleunigte seine Schritte, wagte sich nicht, hochzuschauen. Er war durchschaut. Genau das würden ihm die Gesichter der Schüler sagen. Das war peinlich. Er fühlte sich durchleuchtet, hilflos, nackt. Dabei war er doch immer vorsichtig gewesen.
Was wussten sie noch über ihn?
Sein Verfolgungswahn bekam neues Futter. Wenn Bertram Andernach den Schülern zum Opfer gefallen war – wer war der Nächste?
Er sperrte die Tür zur Sporthalle auf, rannte an der gläsernen Wand vorbei in Richtung Lagerraum, wo der Kühlschrank stand. Seit der Hausmeister nicht mehr zum Dienst erschien, hatte sich Laug aus dem Versteck einen Selbstbedienungsladen gemacht. Solange die Vorräte reichten, brauchte er sich zumindest über Nachschub keine Gedanken zu machen.
Seine Sorge um Mathilde Graufuchs genügte schon. Dabei ging es ihm nicht um die Kollegin, die ihn ständig aufzog, weil er in ihren Augen zu viel trank. Nein. Ihr Fernbleiben verkörperte die Gefahr, die seit dem verhängnisvollen Tag an dieser Schule herrschte.
Täglich wuchs die Anspannung.
Er fühlte sich verfolgt und beobachtet. Egal, was er tat, ihn beschlich ständig das Gefühl, nicht allein zu sein. Auch hier schaute er sich ängstlich um. Diese Turnhalle barg viele Verstecke. Überall standen Turngeräte, hinter denen sich jemand verschanzen konnte. Außerdem lagen mehrere kleine Räume dicht nebeneinander. Sie waren so dunkel und so überfüllt – ideal zum Auflauern.
Sein Herz setzte aus vor Schreck. So etwas durfte er nicht denken, sonst drehte er durch.
Hastig sperrte er die Tür hinter sich ab.
Das gab ihm sofort ein Gefühl der Erlösung. Und dazu noch ein kühles Bier und es gelang ihm wieder, sich zu beruhigen. Zumindest für den Augenblick.
Er suchte die Visitenkarte, die Hauptkommissar Schnur ihm gegeben hatte, und rief mit seinem Handy dessen Nummer an.
Zu seiner Überraschung erreichte er den Hauptkommissar sofort persönlich. Er berichtete ihm vom unentschuldigten Fernbleiben der Kollegin Mathilde Graufuchs. Die Reaktion des Polizisten fiel anders aus, als er erwartet hatte. Schnur bedankte sich nur und beendete das Gespräch.
Aber was hatte Günter Laug auch erwartet? Dass die Polizei ihm Einblick in ihre Arbeit gewährte? Er lachte über sich selbst, trank sein Bier aus und machte sich auf den Weg zum Schulgebäude. Die nächste Unterrichtsstunde stand ihm bevor. Bei dem Gedanken, welche Klasse er jetzt unterrichten würde, schlich sich ein zufriedenes Schmunzeln über seine Lippen. Die blonde, kecke Lara Ferringer hatte sich auch bei ihrem zweiten Versuch, das Abitur zu schaffen, für seinen Kurs angemeldet. Das schmeichelte ihm natürlich.
Kapitel 37
»Was hast du über Fred Recktenwald herausgefunden?« Mit dieser Frage stürmte Schnur in Eriks Zimmer.
»Eigentlich nichts Auffälliges.«
»Dann möchte ich die unauffälligen Fakten wissen.«
»Fred Recktenwald lebt schon seit Ewigkeiten in Saarlouis-Picard.«
»Was soll das heißen?«
»Dass er als Baby adoptiert worden ist. Seine Adoptivmutter kommt aus Picard.«
»Wissen wir, wer die leiblichen Eltern sind und warum er adoptiert wurde?«
»Das war vor vierzig Jahren«, erklärte Erik schlau, was Schnur ein genervtes Stöhnen entlockte. »Ich kann auch rechnen.«
»Schon gut, schon gut! Wir haben im Saarlouiser Melderegister nachgefragt. Dort ist Fred Recktenwald als Ferdinand Recktenwald eingetragen.«
»Das ist endlich mal eine klare Aussage«, lobte Schnur, »auch wenn es nicht gerade die Antwort ist, die ich erwartet hätte. Also wurde das Kind erst nach der Adoption gemeldet?«
Darauf konnte Erik nur mit den Schultern zucken.
»Darüber muss es etwas auf dem Jugendamt in Saarlouis
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