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Galgentod

Galgentod

Titel: Galgentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Schwab
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Während er den klimatisierten Dienstwagen über die A620 steuerte, erinnerte er sich mit gemischten Gefühlen an die Fahrt mit Mirna auf dem Beifahrersitz. Er spürte immer deutlicher, dass diese junge Frau zu einer Gefahr für ihn werden konnte. Er sollte mit Jürgen Schnur darüber sprechen. Aber es gelang ihm nicht, sich zu überwinden. Hinzu kam, dass diese Fahrt, die er als geeignet für ein offenes Gespräch unter Männern angesehen hatte, nun in Begleitung von Andrea stattfand. Sie zeigte sich stets loyal ihm gegenüber. Das gefiel ihm an ihr. Aber genügte das auch? Er kannte sie erst seit wenigen Tagen. Also schwieg er.
    Schon bald bog er in die Dorfstraße von Picard ein und ließ den Wagen langsam rollen.
    »Komisch, dass viele der Häuser so weit von der Straße entfernt stehen«, murmelte Andrea.
    »Das war damals leider ein notwendiges Übel für die Bewohner von Picard«, erklärte Schnur. »Im II. Weltkrieg wurde Saarlouis zur Roten Zone erklärt, weil Hitler den Krieg gegen Frankreich im Saarland begann und Saarlouis die am dichtesten besiedelte Stadt war. Er wurden militärische Geschütze aufgefahren, um Saarlouis gegen die Franzosen zu verteidigen. Alle Häuser, die in der Schusslinie standen, mussten abgerissen werden.«
    Sie rollten weiter, bis Erik an wild wuchernden Hecken den Wagen abstellte. Sie stiegen aus.
    »Wo führst du uns hin?«, fragte Schnur und schaute sich suchend um.
    »Das wüsste ich selbst gern«, gestand Erik. »Mirna behauptet, dass Fred Recktenwalds Haus hier irgendwo zwischen den Bäumen stehen soll. Ich kann aber beim besten Willen kein Haus erkennen.«
    Glocken begannen zu läuten.
    Schnur ging ein Stück die Straße entlang, bis sein Blick auf die kleine Dorfkirche mit ihrem aufgesetzten Giebel fiel, in dem zwei kleine Glocken ihren Lärm veranstalteten. Das Gebäude war ganz in Weiß gehalten und stand auf einer Anhöhe weit zurück versetzt.
    »Ist ja nichts Besonderes, dieses Kirche«, stellte Andrea fest.
    »Diese Kirche ist vielleicht nichts Besonderes«, merkte Schnur an, »wurde dafür aber auf Initiative der Dorfbewohner gebaut, wofür sie sie mit ihrem eigenen Geld bezahlt hatten.«
    »Oh!« Andrea stutzte.
    »Damals gab es nur eine Pfarrei mit Kirche in Beaumarais. Die Bewohner von Picard mussten entweder dort zur Messe gehen oder sich selbst um eine Kirche kümmern, weil ihnen das Bistum Trier keine eigene Pfarrei zugestand. Wenn man diese Geschichte hinter der kleinen Kirche sieht, hinterlässt sie wohl wieder einen anderen Eindruck.«
    »Stimmt. Aber woher weißt du das alles? Ich dachte, du bist in Wallerfangen aufgewachsen.«
    Schnur lachte und antwortete: »Picard gehörte vor dem Krieg zu Wallerfangen. Dadurch ist vermutlich eine große Verbundenheit entstanden. Als Kinder haben wir fast so oft in Picard wie in Wallerfangen gespielt.«
    »Ganz schön rumgekommen, was?« Andrea lachte.
    Schnur nickte und fügte mit einem Blick auf die Kirche an: »Das Glockengeläut lässt mich wieder daran denken, dass wir als Messdiener gelegentlich die Messe in Picard begleiten mussten.«
    »Was hat das mit den Glocken zu tun?«
    »In Dörfern wie Picard wird geläutet, wenn einer der Einwohner gestorben ist. Heute geht das automatisch. Damals mussten die Messdiener die kleine Glocke am Altar betätigen.«
    »Und du wurdest dazu verdonnert?«
    »Manchmal ja«, antwortete Schnur. »Diese Glocke hängt heute noch neben der Sakristei. Sie ist die älteste Glocke im Saarland und stammt aus dem 14. Jahrhundert.«
    »Aufregend, so ein Leben als Messdiener«, spottete Andrea.
    Schnur versetzte ihr einen leichten Hieb auf die Schulter.
    »Du als Messdiener«, schaltete sich Erik in das Gespräch ein. »War das noch vor deiner Zeit als Barbarossa?«
    »Ja. Daran sieht man, dass ich eine große Karriere nachweisen kann«, gab Schnur mit einem säuerlichen Grinsen zurück. »Dafür erlaube ich dir, mir den Weg zu Recktenwalds Haus zu zeigen.«
    Erik steuerte eine zugewachsene Einfahrt an. Er musste genau hinsehen, um das Gartentor zu Recktenwalds Anwesen zu finden. Der rostige Briefkasten gab ihm einen Hinweis.
    »Hier ist es«, rief er.
    Ungläubig starrte Schnur seinen Mitarbeiter an.
    »Doch, doch«, ereiferte sich Erik schnell. »Dieser Briefkasten gehört zu dem Haus.«
    »Ein Briefkasten ist noch lange kein Beweis für ein Haus.« Schnur blieb skeptisch.
    Erik zog das morsche, schief in den Angeln hängende Holztörchen auf, das direkt neben dem Briefkasten unter einigen

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