Galgenweg
Cent betrage. Ich wusste, dass dies nicht stimmte, denn ich hatte mehrfach gesehen, wie er das Geld in die Sammelbüchse des Foyle-Hospizes gesteckt hatte, die bei ihm auf der Ladentheke stand.
Als ich bei ihm ankam, saß er auf einem Hocker an der Ladentür und umklammerte mit der von der Krankheit klauenartig verkrümmten Hand, die beinahe nicht mehr zu gebrauchen war, eine Zigarette. Er sah zu mir hoch und schirmte mit der anderen Hand die Augen gegen die grelle Sonne ab.
»Christy, wie geht’s?«
»Ich lebe noch, Ben, ich lebe noch. Was macht die Familie – Debbie und die Kinder?«
»Alles bestens, Christy, danke. Sie hatten Besuch, habe ich gehört.«
Er nickte und zog ein letztes Mal an dem glühenden Zigarettenstummel, ehe er ihn am Hockerbein ausdrückte. Dann erzählte er mir, was sich zugetragen hatte.
Gegen drei Uhr – als ich in Letterkenny gerade einen Hamster gekauft hatte – war ein Engländer mittleren Alters in seinen Laden gekommen, vorgeblich um eine Flasche Wasser zu kaufen. Er stand an der Ladentheke und drückte die Flasche an die schweißnasse Stirn. Trotz der Hitze trug er einen zerknitterten grauen Wollanzug.
»Was für eine Mordshitze«, bemerkte er und reichte Christy die von seinem Schweiß beschmierte Wasserflasche.
»Wär schlimmer, wenn’s regnet«, erwiderte Christy und hielt die Flasche am Hals, um sie einzuscannen.
Der Engländer starrte ihn an, ohne die Sonnenbrille abzunehmen. Sein Gesicht war gerötet, möglicherweise von der Hitze; allerdings meinte Christy, es habe ausgesehen wie das Gesicht eines starken Trinkers. Als Christy dem Blick standhielt, lächelte der Mann und sah sich im Laden um.
»Vielleicht können Sie mir helfen«, sagte der Mann.
»Ah ja?«
»Ja«, sagte er, und Christy fragte sich, ob der Mann sich über ihn lustig machte. »Sie wissen nicht zufällig etwas über diese Waffen, die man da gefunden hat?« Er holte ein zusammengerolltes Bündel Euronoten aus der Tasche und legte einen Zwanziger auf die Ladentheke, um für das Wasser zu bezahlen, das nur gut einen Euro kostete.
»Was für Waffen denn?«, fragte Christy und wollte nach dem Geldschein greifen. Der Engländer hielt den Schein mit einem Finger auf der Ladentheke fest.
»Die Waffen, die man neulich gefunden hat.«
»Sind Sie auch Journalist?«, fragte Christy.
»Ja.« Der Mann betrachtete nun die Süßigkeitenauslage, speziell die Schokoladenriegel.
»Tja, die anderen sind Ihnen klar zuvorgekommen, die sind alle schon wieder weg.«
Der Mann zögerte und sah Christy an. »Ich gehe einigen offenen Fragen nach«, erklärte er, nahm wahllos irgendeinen Riegel und legte ihn auf die Theke.
Christy wies dem Mann den Weg zu Peter Webbs Besitz, und der Zwanzig-Euro-Schein lag nun frei auf der Theke.
»Danke, Sir. Behalten Sie das Wechselgeld.« Beim Hinausgehen nahm der Mann einen Stapel Ansichtskarten von Donegal aus dem Ständer an der Tür und fächelte sich damit zu, so als könnte die warme, abgestandene Luft ihm ein wenig Erfrischung verschaffen.
Christy schlurfte wieder zu mir zurück, nachdem er mir das Motiv der Ansichtskarte gezeigt hatte.
»Von wegen Journalist. Ich habe genug Journalisten und genug Briten gesehen, ich erkenne einen Engländer, wenn ich einen sehe. Er war allerdings kein Militär – aber ich würde meinen Laden drauf verwetten, dass er vom Special Branch war.«
»Sind Sie sicher?« Der Special Branch war ein ehemals nur für Irland zuständiger britischer Geheimdienst. »Könnte er nicht vielleicht ein Fotograf gewesen sein oder jemand, der eine Reportage schreibt?«
»Nein – das waren keine Journalistenhände. Sie waren ölverschmiert, und die Fingernägel waren abgekaut. Am Nacken hatte er eine lange Narbe. Ich garantiere Ihnen, Inspector: Special Branch. Der hatte doch bestimmt nicht mal ein lausiges Notizbuch dabei.« Er schüttelte ungläubig den Kopf über die armselige Tarnung des Mannes.
Abends nach neunzehn Uhr nahm die Hitze noch zu. Allein schon zu Abend zu essen genügte, um mir das Hemd am Rücken kleben zu lassen. Das zuvor strahlende Blau des Himmels war Aquarellfarben gewichen, und hohe Wolken färbten das Himmelsgewölbe weiß. Gleich nach Sonnenuntergang trieben von Westen her schwere Gewitterwolken herbei, vom Atlantik kommend fegten sie über die Berge des Donegal heran. Ich hatte geduscht, um mich abzukühlen, und saß mit einem Kaffee und einer Zigarette hinter dem Haus, als die ersten schweren Regentropfen aufs staubige Gras
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