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Galgenweg

Galgenweg

Titel: Galgenweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian McGilloway
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trüb und leer.
    »Das ist seltsam«, sagte ich.
    »Was?«, fragte Black, einer der Uniformierten.
    »Er trägt noch seine Brille. Das tun Selbstmörder normalerweise nicht.«
    »Wie meinen Sie das? Brillenträger begehen keinen Selbstmord?«
    »Nein«, sagte ich. »Selbstmörder tragen normalerweise keine Brille.«
    »Ist das eine Frage der Intelligenz oder was?«, fragte er und betrachtete die Leiche, als wollte er Webbs Intelligenzquotienten einschätzen.
    »Er meint, wenn ein Brillenträger Selbstmord begehen will, nimmt er normalerweise die Brille vorher ab«, erklärte Williams ein wenig ungeduldig.
    »Warum?«, fragte Black und bestätigte damit meinen ersten Eindruck von ihm: Er würde nie über die Uniform hinauskommen, obwohl er die Wissbegier eines Kindes mit der Begeisterungsfähigkeit für neu Erlerntes verband.
    »Das ist wie beim Schlafengehen. Man nimmt die Brille ab, bevor man ins Bett geht.«
    Ich rechnete damit, dass er erwidern würde: »Aber ich trage überhaupt keine Brille«, doch erstaunlicherweise sah er mich nur an und wandte sich dann wieder der Leiche zu.
    »Vielleicht wollen sie nicht, dass sie kaputt geht?«, meinte er.
    »Vielleicht«, stimmte ich zu.
    Zehn Minuten später traf Costello ein, doch es fiel ihm nicht leicht, die Steigung bis zu der Stelle im Garten, an der wir standen, zu bewältigen. Er packte mich am Arm, während er sprach, wie ein älterer Verwandter, der sich abstützen muss.
    »Sieht ziemlich klar aus, Sir: Selbstmord. Die Gerichtsmedizinerin war bereits hier; sie hat das Gleiche gesagt – vorbehaltlich der Autopsie.«
    »Selbstmord werde ich nie verstehen, Benedict«, sagte er traurig. »Es ist so … unnatürlich.« Er tätschelte meinen Arm und machte sich auf den Rückweg zum Auto. »Bringen Sie es der Frau sanft bei, Ben. Sorgen Sie dafür, dass sie weiß, dass wir alles tun, was in unserer Macht steht, um ihr zu helfen.« Ich nickte. »Gott sei Dank hat er das nicht getan, als er in unserem Gewahrsam war«, fügte er hinzu, schüttelte den Kopf und wandte sich ab.
    Mrs   Webb weinte nicht, als wir sie vom Tode ihres Mannes unterrichteten. Ihr gesamter Körper versteifte sich. Sehr aufrecht saß sie auf dem harten Holzstuhl in ihrer Küche, den Mund zu einer schmalen weißen Linie zusammengepresst, und nickte kaum merklich, als befürchtete sie, bei heftigen Bewegungen könnte sie die Fassung verlieren und in Tränen ausbrechen. Sie hörte Williams zu, die ihr sanft versicherte, dass wir alles tun würden, was in unserer Macht stand, um ihr beizustehen, und schüttelte den Kopf, als sie gefragt wurde, ob wir einen Freund oder einen Angehörigen benachrichtigen sollten. Dann flatterten ihre Lider ganz leicht, und ihre Augen füllten sich nun doch mit Tränen. Sie wischte sie fort.
    »Ich rufe gleich selbst jemanden an«, sagte sie, dann wandte sie sich an mich: »Hat er gelitten, Inspector?«, fragte sie.
    Ich bin der Überzeugung, dass Menschen, die sich das Leben nehmen, so sehr leiden, dass der Schmerz des Todes und die Angst davor nichts Schlimmes mehr für sie bereithalten, und das sagte ich ihr auch. »Können Sie sich vorstellen, was die Ursache für sein Leid war, Mrs   Webb? Hat ihn irgendetwas so sehr gequält, dass er keinen anderen Ausweg mehr sehen konnte?«
    »Nein, nichts«, sagte sie und umklammerte mit der rechten Hand ein Taschentuch. »Aber er hat sich sehr aufgeregt über … Sie wissen schon … das Zeug, das man auf unserem Land gefunden hatte. Die Waffen und so. Ich glaube, er fühlte sich schlecht deswegen.«
    »Warum denn?«, fragte ich unwillkürlich. Innerlich verfluchte ich mich, doch wenigstens hatte ich ihr nicht noch erzählt, dass wir vermuteten, die Waffen und Drogen hätten ihm nicht einmal gehört.
    Glücklicherweise missverstand sie meine Frage. »Nun ja, er hatte schreckliche Schuldgefühle. Ich hatte ja keine Ahnung, dass er so was gemacht hat – Drogen und all das. Es ist unfassbar … manchmal kennt man nicht einmal den Menschen, mit dem man verheiratet ist …«
    »Hat er das wirklich so zu Ihnen gesagt?«, fragte Williams. »Dass er Schuldgefühle hatte?«
    Unfähig zu sprechen, nickte Sinead Webb energisch.
    »Glauben Sie, dass er deshalb …?«
    Erneut nickte sie stumm. Williams sah mich an und zuckte die Achseln. Ich konnte es ihr nur gleichtun.
    »Mrs   Webb, hat Ihr Mann in den letzten vierundzwanzig Stunden irgendetwas Ungewöhnliches getan? Irgendein Anzeichen dafür, was er vorhatte? Sie wissen schon:

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