Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
nicht einfach schenken. Diese Sachen kommen doch aus Japan, nicht wahr?»
«Ich habe noch eine Garnitur in Schwarz zu Haus. Smith, das Gebet, das ich heute Abend von dir gelernt habe, ist die Perlen wert, aber du hättest sie auch so gekriegt.» Ein paar Minuten später aß er den Rest des Schokoladenpuddings auf, achtete aber sorgfältig darauf, dass ich das meiste kriegte. Als er dann Zweige auf den Felsboden unserer Lagerstätte legte und seinen Poncho darüberbreitete, vergewisserte er sich, dass sein Schlafsack weiter ab vom Feuer lag als meiner, damit ich auch ja nicht friere. Er war immer ein Muster praktizierender Nächstenliebe. Eigentlich habe ich erst von ihm gelernt, was Freigebigkeit ist, und eine Woche später schenkte ich ihm ein paar hübsche neue Unterhemden, die ich entdeckt hatte, während wir im Laden von Goodwill Einkäufe machten. Er drehte sich sofort um und machte mir ein Gegengeschenk, einen Plastikbehälter zum Aufbewahren von Lebensmitteln. Nur aus Spaß brachte ich ihm einmal einen riesigen Blumenstrauß aus Alvahs Garten mit. Einen Tag später überreichte er mir feierlich ein kleines Bouquet Blumen, die er am Wegesrand gepflückt hatte. «Und diese Turnschuhe kannst du auch behalten», sagte er. «Ich habe noch ein Paar, die sind etwas älter und genauso gut.»
«Mensch, ich kann dir doch nicht all deine Sachen wegnehmen!»
«Smith, du bist dir offenbar nicht darüber im Klaren, dass es ein Privileg ist, andere Leute zu beschenken.» Und er machte es bezaubernd. Dem Ganzen haftete nichts von Talmi und Weihnachtsmannspielen an, sondern es hatte eher etwas Trauriges. Manchmal bestanden seine Gaben aus alten, unansehnlichen Sachen, aber sie hatten den Charme des Nützlichen und waren erfüllt von der Trauer, mit der er sie verschenkte.
Wir rollten uns in unsere Schlafsäcke ein. Es war nun eisig kalt, etwa elf Uhr und wir unterhielten uns noch eine Weile, bis nur noch einer redete und vom Kissen des anderen einfach keine Antwort mehr kam, und kurz darauf schliefen wir. Ich wachte von seinem Schnarchen auf und legte mich platt auf den Rücken und sah zu den Sternen auf und dankte Gott, dass ich diese Kletterpartie mitgemacht hatte. Meine Beine taten nicht mehr so weh, ich fühlte mich am ganzen Körper stark und kräftig. Das Geknister der verglimmenden Holzscheite klang so, als ob Japhy kleine Randbemerkungen zu meiner glücklichen Stimmung machte. Ich sah zu ihm hinüber. Er hatte seinen Kopf tief in den Schlafsack vergraben. Wie er so winzig und zusammengekauert dalag, war er das Einzige, was ich in der meilenweit sich erstreckenden Dunkelheit sehen konnte, und er hatte nur den einen konzentrierten Wunsch: gut zu sein.
Welch seltsames Wesen ist der Mensch, ging es mir durch den Kopf … Unergründlich ist seine Seele, wie schon in der Bibel geschrieben steht. Dieser arme Kerl, der zehn Jahre jünger ist als ich, bringt es fertig, dass ich mir wie ein Narr vorkomme, der in ein paar ausschweifenden, von Enttäuschungen angefüllten Jahren alle Ideale und Freuden besserer Zeiten vergessen hat. Was macht es ihm aus, wenn er kein Geld hat? Er braucht kein Geld, er braucht nur seinen Rucksack mit den kleinen Plastikbehältern für getrocknete Lebensmittel und ein Paar gute Schuhe, und er macht sich auf den Weg und führt in einer herrlichen Gegend wie dieser hier oben das Leben eines Millionärs. Und welcher Millionär, den die Gicht plagt, würde denn überhaupt auf diesen Berg hinaufkommen? Sogar wir haben ja einen ganzen Tag dazu gebraucht … Und ich gelobte, ein neues Leben zu beginnen. «Durch den ganzen Westen und die Berge des Ostens und die Wüste will ich mit meinem Rucksack trampen, und ich will meine Reinheit nicht verlieren.» Dann vergrub ich meine Nase in den Schlafsack und schlief ein und wachte fröstelnd um die Zeit der Morgendämmerung auf. Die Bodenkälte war durch den Poncho und den Schlafsack gedrungen, und meinen Körper umgab eine feuchtere Feuchtigkeit als die Feuchtigkeit eines kalten Bettes. Mein Atem ging dampfend. Ich rollte mich auf die andere Seite und schlief weiter. Ich träumte reine Träume, kühl wie Eiswasser, glückliche Träume, keine Albträume.
Als ich wieder aufwachte und das Sonnenlicht in reinstem Orange durch die östlichen Felsklippen brach und durch die duftenden Fichtenzweige zu uns niederdrang, war mir zumute wie damals, als ich noch ein kleiner Junge war und jemand sagte du musst jetzt aufstehen und ich durfte den ganzen Sonnabend
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