Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
wird nie wieder was von ihm hören.»
«Nein, das tut er nicht», sagte ich, «er hängt zu sehr an uns.»
Alvah sagte: «Am Ende stehen sowieso immer Tränen.»
31. Kapitel
Nun, als zeige mir Japhys Finger den Weg, machte ich mich nach Norden auf, zu meinem Berg.
Es war der 18. Juni 1956, morgens. Ich kam runter und sagte Christine auf Wiedersehen und dankte ihr für alles und wanderte die Straße hinab. Sie winkte von dem grasbewachsenen Hof. «Es wird hier einsam sein, jetzt wo alle weg sind und keine riesigen Partys mehr am Wochenende.» Das Ganze hatte ihr richtig Freude gemacht. Da stand sie barfuß im Hof mit der kleinen barfüßigen Prajna, während ich an der Pferdeweide entlang davonwanderte.
Meine Fahrt nach Norden war leicht; es war, als begleiteten mich Japhys beste Wünsche, ich sollte zu meinem Berg kommen, zu dem Berg, den man nie wieder hergibt. Auf der 101 nahm mich sofort ein Soziologielehrer mit, der aus Boston stammte, auf Cape Cod sang und gerade gestern bei der Hochzeit seines Freundes ohnmächtig geworden war, weil er gefastet hatte. Als er mich in Cloverdale absetzte, kaufte ich meine Wegzehrung ein: eine Salamiwurst, einen Keil Cheddarkäse, Ry-Krisp und noch ein paar Datteln als Nachtisch, alles säuberlich eingewickelt und weggesteckt. Ich hatte von unserer letzten gemeinsamen Wanderung noch Erdnüsse und Rosinen übrig. Japhy hatte gesagt: «Ich werde diese Erdnüsse und Rosinen auf dem Frachter nicht brauchen.» Es gab meinem Herzen einen Stich, als ich daran dachte, wie Japhy immer so todernst war, wenn es ums Essen ging, und ich wünschte, die ganze Welt nähme das Essen todernst, anstatt sich mit blöden Raketen und Maschinen und Sprengstoffen zu befassen, die allen Leuten das Wirtschaftsgeld schmälern, und dann doch nur in die Luft gejagt werden.
Ich wanderte einen guten Kilometer, nachdem ich mein Mittag hinter einer Tankstelle gegessen hatte, bis zu einer Brücke über den Russian River, wo ich in grauem Trübsinn volle drei Stunden stecken blieb. Aber plötzlich, unerwartet, ließ mich ein Farmer, der einen Tick hatte, wovon sein ganzes Gesicht zuckte, ein kurzes Stück mitfahren, mit seiner Frau und seinem Jungen, zu einer kleinen Stadt, Preston, wo mich ein Fernfahrer ganz bis nach Eureka mitnehmen wollte («Eureka!», rief ich aus), und dann kam er ins Reden und sagte: «Verdammt nochmal, ich bin so allein, wenn ich diese Karre fahre, ich brauch jemand, mit dem ich die ganze Nacht reden kann, ich nehm dich ganz bis nach Crescent City mit, wenn du willst.» Das lag ein wenig abseits meines Weges, aber weiter nördlich als Eureka, darum sagte ich okay. Der Typ hieß Ray Breton, er fuhr mich die ganze Nacht durch vierhundertfünfzig Kilometer im Regen und erzählte pausenlos von seinem ganzen Leben, seinen Brüdern, seinen Frauen, Söhnen, seinem Vater; und in Humboldt Redwood Forest in einem Restaurant namens Forest of Arden aß ich fabelhaft zu Abend, Garnelen mit einem riesigen Erdbeerkuchen und Vanilleeis zum Nachtisch und eine ganze Kanne Kaffee, und er bezahlte den ganzen Kram. Ich brachte ihn davon ab, von seinen eigenen Kümmernissen zu erzählen, weil ich mit ihm über die Letzten Dinge reden wollte, und er sagte: «Ja, die Guten bleiben im Himmel, sie sind von Anfang an im Himmel gewesen», was sehr weise war.
Wir fuhren durch die Regennacht und kamen zur Dämmerung in einem grauen Nebel in Crescent City an, einer kleinen Stadt am Meer, und parkten den Lastwagen auf dem Sand am Strand und schliefen eine Stunde. Dann ließ er mich zurück, nachdem er mir zum Frühstück Pfannkuchen und Eier gekauft hatte, wahrscheinlich hatte er die Nase voll davon, mir alle Mahlzeiten zu bezahlen, und ich wanderte aus Crescent City heraus und rüber auf eine Straße nach Osten, Highway 199, um auf die bedeutendere 99 zurückzukommen, die mich schneller nach Portland und Seattle befördern würde als die malerischere, aber langsamere Küstenstraße.
Plötzlich fühlte ich mich so frei, dass ich anfing, auf der falschen Straßenseite zu gehen, und meinen Daumen dort herausstreckte und wie ein chinesischer Heiliger ohne Grund nach Nirgendwo wanderte, zu meinem Berg ging, um froh und glücklich zu sein. Arme, kleine Engelwelt! Plötzlich war mir alles vollkommen egal, auch wenn ich den ganzen Weg zu Fuß gehen müsste. Aber gerade weil ich auf der falschen Straßenseite dahintanzte und mich nicht drum kümmerte, nahm mich gleich jemand mit, ein Goldgräber mit einem kleinen
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