Ganz oder gar nicht (German Edition)
spätere Ehefrau Silvia.
SILVIA, ARMIN, NORBERT, DIE ROSI UND ICH
Carolin war die erste Freundin, die ich meinen Eltern vorstellte. Es war keine lange Beziehung, aber über Carolin lernte ich Silvia kennen. Ich hatte mit dem FC Herzogenaurach ein Auswärtsspiel in Röttenbach, dem Ort, in dem Silvia wohnte. Und plötzlich stand sie da mit Carolin am Spielfeldrand: Sommersprossen, rötliche Haare, sportliche Figur. Warum sollte man sich nicht noch für denselben Abend zur Disco verabreden? Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Wir lernten uns kennen, näherten uns einander an, verabredeten uns immer wieder. Und dann passierte, was irgendwann passieren musste, wir wurden ein Paar. Was mich genau an Silvia faszinierte? Es hat einfach gepasst.
Schon drei Monate später musste ich nach Mönchengladbach aufbrechen, damals lernte sie noch für ihr Abitur. Wir hatten eine klassische Fernbeziehung, trafen uns zweimal im Monat. Mal fuhr ich runter in den Süden, mal kam sie zu mir.
Die ersten Tage wohnte ich in einer verwinkelten Pension in Stadionnähe, bekam dann aber durch den Inhaber eines Sportgeschäfts eine kleine 40-Quadratmeter-Wohnung vermittelt, rund 300 Meter vom Bahnhof entfernt in der Margarethenstraße 26, Erdgeschoss. Das braun-gelblich gekachelte Haus steht heute noch. Nur ist das Viertel erheblich ruhiger geworden. Damals hauten mir die Besoffenen nachts um vier gegen die Jalousien, es war laut, es war schmutzig. Acht Parteien lebten in dem Altbau, der keinerlei Charme versprühte und mich dazu veranlasste, möglichst wenig Zeit dort zu verbringen. Die Wohnung bestand aus zwei quadratischen Räumen mit Verbindungstür, 280 Mark Miete zahlte ich dafür. Ich musste alles einrichten. Ein Zimmer war ganz leer, im zweiten duschte man direkt neben dem Herd. Die Toilette, das kannte ich ja aus meinen Kinderjahren, befand sich auf dem Gang.
Ein gewisser Norbert Pflippen nahm sich in diesen Tagen meiner an und half mir, Vorhänge, Bett, Schrank, Eckbank und Fernseher zu kaufen. Pflippen arbeitete bei der Stadt Mönchengladbach in der Knöllchen-Abteilung, betreute nebenbei über die Agentur seiner Frau Fußballspieler und stellte die Stadionzeitung von Borussia Mönchengladbach her. Sein erster »Kunde« war Günter Netzer. Die Legende sagt, dass Pflippen mit ihm 1970 ins Geschäft kam, nachdem er dem passionierten Schnellfahrer Netzer einige Probleme mit seinem Führerschein auf die eher unkomplizierte Art löste. Andere Autonarren der Borussia nahmen danach Pflippens Hilfe ebenso in Anspruch. Damit etablierte er quasi die erste Spielerberatung Deutschlands. Fortan stand Pflippen in seiner Mittagspause am Trainingsgelände der Borussia und sprach mit den Spielern, kümmerte sich um sie wie ein Vater. Und so ist zwischen uns nicht nur eine Geschäftsbeziehung entstanden. Bis zu seinem viel zu frühen Tod im August 2011 verband uns eine große Freundschaft.
Pflippen war ein herzensguter Mensch, dem es immer um das Wohl des Sportlers ging, nie um die eigene Tasche, sonst hätte er viel mehr Transfers veranlasst. Er erzählte mir einmal, dass ihm Vereine viel Geld bieten würden, um bestimmte Spieler zu ihnen zu lotsen. Diese privaten Zusatzprämien lehnte Norbert immer ab, er war nicht käuflich. Er war ein korrekter Mensch. Und wir schätzten noch etwas anderes an ihm: seine positive Sicht auf die Welt. Ich habe ihn nie depressiv erlebt. 1983 hatte er dann diesen schrecklichen Unfall. Bei extrem hohem Tempo kam sein Wagen auf winterglatter Fahrbahn von der Straße ab und überschlug sich mehrfach. Norbert trug ein Trauma davon. Ich bin überzeugt, dass ihn der Crash nachhaltig zerstört hat. Er war zwar weiterhin beliebt und willkommen, nahm auch immer mehr Topspieler unter Vertrag – Stefan Effenberg, Oliver Kahn, Mehmet Scholl, Christian Ziege, Matthias Sammer, zum Schluss Arne Friedrich oder Lukas Podolski –, aber mit dem Kopf wurde er immer abwesender. Wir besprachen etwas am Abend, und am nächsten Morgen wusste er es nicht mehr. Das war für mich als Spieler nicht mehr tragbar. Also setzten wir uns zusammen und lösten den Vertrag auf. In Freundschaft und größtem Respekt. Darauf lege ich Wert.
Aber zurück ins Jahr 1979. So kärglich meine erste Wohnung auch war: Endlich war ich mein eigener Herr. Aus diesem neuen Gefühl von Freiheit heraus lehnte ich auch eine Wohnungsalternative ab, die mir von der Borussia angeboten worden war. Ich hätte bei Tante Käthe unterkommen können, einer
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