Ganz oder gar nicht (German Edition)
hatte sicher auch mit meiner Verfassung zu tun gehabt. 1980 nach der Europameisterschaft ist mir der schnelle Erfolg zu Kopf gestiegen. Die Popularität wuchs durch die internationalen Erfolge. In den Zeitschriften, die ich früher ausgetragen hatte, stand ich jetzt selbst. Ich sollte Fragebögen ausfüllen, in denen nach meinem Lieblingsauto und meinem Lieblingsurlaubsort gefragt wurde. Lieblingsauto? Lieblingsurlaubsort? Was sollte ich da eintragen, ich, Lothar, 19 Jahre jung?
Ich ließ die Zügel schleifen. Wahrscheinlich weil ich dachte, das geht so einfach weiter, vielleicht sogar mit einem Bierchen mehr oder einem Gang weniger im Training. Ich habe die ersten Schulterklopfer falsch eingeschätzt, habe mich verleiten lassen, häufiger und länger auszugehen. Ja, das Mönchengladbacher Nachtleben. Ich enterte regelmäßig die Altstadt auf dem Abteiberg. Besonders die Kneipe Markt 26, die es heute noch gibt, hatte es mir angetan. Nach erfolgreichen Spielen betäubte ich mich gerne mal. Ich erlebte Filmrisse. Zum Bier kam der Whiskey, teilweise sogar kurz vor wichtigen Spielen. Eigentlich ein Tabu.
Es war genau die Phase, in der ich von Silvia getrennt war. Mir fehlte Halt. Ich fiel in ein Loch und bekam von Trainer und Medien richtig was auf die Schnauze. Die Leistung hat nicht mehr gestimmt. Ich war nicht mehr so dominant im Spiel und nicht mehr so präsent beim Training. Die Professionalität, die mich meine gesamte Karriere ausgezeichnet hatte, habe ich hier für einige Monate verloren. Aber Jupp Heynckes hat mich nie aus dem Kader genommen. Stattdessen faltete er mich gerne auch mal vor der Mannschaft zusammen. Ich sei zu locker, ich sei zu zufrieden, mein Lebenswandel sei ungesund. Er hatte ja recht. Mein Glück war, dass ich das schnell einsah. Ich legte den Schalter um, kehrte mit Heynckes’ Hilfe zur alten Stärke zurück und konnte auch wieder auf den Beistand von Silvia zählen.
IST DAS DER SONDERBUS NACH MAGDEBURG?
Denke ich an meine Zeit in Mönchengladbach, denke ich auch immer wieder an ein ganz spezielles Spiel. Das Duell gegen Magdeburg in der ersten Runde des UEFA-Pokals im Jahr 1981. Der Kalte Krieg war noch kälter geworden, Reagan wurde US-Präsident, West und Ost rüsteten um die Wette auf. In diesem Klima wurde uns der 1. FC Magdeburg zugelost, der Dritte der Oberliga der DDR.
Ich war vorher nur einmal mit der Schulklasse in Ostberlin gewesen und zweimal mit unserem Mannschaftsbus die Transitstrecke zum Spiel gegen die Hertha gefahren. Ich hatte mich nicht großartig mit der DDR auseinandergesetzt. Das Einzige, was man als Zwanzigjähriger so wusste, war, dass man dort nicht gerne leben wollte, weil alles und jeder von einer Diktatur kontrolliert wurde.
Wir wurden darauf vorbereitet, dass wir auf einen aggressiven Gegner treffen würden. Außerdem wies man uns an, das Hotel nicht zu verlassen. Schließlich wurden wir sensibilisiert, darauf zu achten, was wir zu uns nehmen. Man traute den Köchen nicht. Zu oft hatte man von Vorfällen gehört, bei denen gerade westeuropäische Mannschaften im Ostblock durch gewisse Zutaten in ihrer Fitness beeinträchtigt wurden. In diesem Fall ließ es die Borussia darauf ankommen und vertraute dem da oben.
Später erlebte ich allerdings mit Inter, wie man mit eigenen Köchen auf Nummer sicher ging. Als wir 1991 mit Mailand fürs Achtelfinale des UEFA-Cups nach Belgrad reisten und ich es wagte, beim Kellner ein traditionelles serbisches Gericht zu bestellen, weckte ich den Unmut von Giovanni Trapattoni. Wütend zog er mir den Teller mit dem Gegrillten unter der Nase weg und schimpfte, ich solle das Gleiche essen wie die anderen – nämlich Pasta aus eigener Herstellung.
In Magdeburg trafen wir nicht bloß auf den vermutet aggressiven Gegner, auch das Publikum war äußerst aggressiv. Es war, als hätte die Stasi Busladungen geschulter Fans nach Magdeburg gekarrt. Wir merkten, wie die Zuschauer vom System hochgepuscht worden waren und uns am liebsten gefressen hätten. Uns schlug purer Hass entgegen. So viel miese Energie – die Partie ging prompt 1:3 verloren.
Glücklicherweise durften wir die Magdeburger zum Rückspiel auf den Bökelberg bitten. Kurt Pinkall traf in der 64. Minute zum 1:0, aber das reichte noch nicht. Wir brauchten ein weiteres Tor. Das gelang mir wenige Minuten vor Schluss, wieder mal per Freistoß. Ich weiß noch, wie ich zum Jubeln auf den Zaun kletterte und mit den Fans feierte. Wir waren weiter. Dazu hatte es jedoch
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