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Ganz oder gar nicht (German Edition)

Ganz oder gar nicht (German Edition)

Titel: Ganz oder gar nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Häusler , Lothar Matthäus
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lediglich um einen Monat, den ich später zum Team hinzustoßen würde.
    Am 21. März 1979 wurde ich 18, das Probetraining mit Vertragsunterzeichnung fand Ende März statt, im April machte ich den Führerschein, im Juni legte ich die Prüfungen als Raumausstatter ab, im Juli bin ich hoch nach Mönchengladbach, saß beim zweiten Spiel auf der Ersatzbank und stand ab dem sechsten Spiel in der Stammelf. Was für ein Jahr!
    Meine Heimat habe ich in einem grünen Golf verlassen. Es war nicht irgendein Golf, sondern ein großzügiges Geschenk des Puma-Chefs. Rudolf Dassler hatte mir schon früh mit einem bedeutsamen Blick aus seinem Büro auf den Parkplatz hinunter angekündigt: »Lothar, wenn du den Führerschein hast, gebe ich dir diesen Golf da für symbolische 99 Pfennig.« Also bin ich nach bestandener Prüfung zum Chef und zeigte ihm stolz meinen Führerschein. Er meinte nur, ich sollte zur Sekretärin gehen, sie wüsste schon Bescheid mit Schlüssel und Wagenpapieren. Ich legte ihr wie vereinbart eine Mark auf den Schreibtisch und bekam einen Pfennig zurück. Vier Monate später fuhr ich mit diesem Golf in Gladbachgrün – fünfzig PS unter der Haube, 60000 Kilometer auf dem Tacho – in ein neues Leben, eines, das in einem radikalen Gegensatz zu dem Leben stehen sollte, das ich von meinen Eltern kannte.
    Unsere Leben sind bis heute unterschiedlich wie Sonne und Schatten, wie Schwarz und Weiß. Es gibt kein Grau. Ich lebe extrem, meine Eltern leben extrem. Aber was ist besser? Sonne oder Schatten? Schwarz oder Weiß? Das vermag ich nicht zu beantworten.

NEUANFANG IN MÖNCHENGLADBACH
    Um sechs Uhr früh sah ich meine Eltern im Rückspiegel kleiner werden. Neben mir der Autoatlas, auf der Rückbank zwei Taschen, ein paar Jacken. Keine Möbel. Es war kein Umzug, es war der totale Neuanfang. Ich musste Gas geben. Das erste Training begann um zehn, und Trainer Jupp Heynckes legte großen Wert auf Pünktlichkeit. Rauf also auf die A3 und dreieinhalb Stunden Richtung Nordwesten. Das Timing war ganz schön gewagt, denn ich fuhr die Strecke zum ersten Mal. Frankfurter Kreuz. Köln Nord. Dann die A57 Richtung Neuss, Abbiegen Richtung Kaarst, Ausfahrt Mönchengladbach Nord. Diese Route sollte sich in mein Gedächtnis einbrennen. Ich steuerte direkt den Bökelberg an, jene Kultstätte, an der vor Jahrzehnten das Gladbacher Stadion in eine Kiesgrube gesetzt worden war.
    Borussia Mönchengladbach war 1979 UEFA-Cup-Sieger geworden. Ich traf auf Siegertypen wie Kalle Del’Haye, Ewald Lienen, Winfried Schäfer oder Wolfgang Kneip und konnte gar nicht anders als schüchtern sein. Ich kannte die Jungs aus dem Fernsehen, mich kannte niemand. Also habe ich mir die versammelte Prominenz in der Kabine erst mal genauer angeschaut. Zum Glück fingen damals einige neue, junge Spieler bei Gladbach an. Jürgen Fleer, Armin Veh und Markus Mohren waren etwa in meinem Alter. Veh war vier, fünf Wochen vor mir an den Bökelberg gekommen. Es bildete sich eine Clique der Neuen, die erste Distanz legte sich schnell. Mönchengladbach machte seinem Ruf als unkomplizierter Verein alle Ehre.
    Jupp Heynckes hat mich von Anfang an gefördert. Er war ein junger, ehrgeiziger Trainer, der sehr viel mit dem Ball trainieren ließ, was damals nicht viele taten. Er bestand auf Disziplin, war übergründlich und hat manchmal ein bisschen Lockerheit vermissen lassen. Oft lief er vor Ärger rot an, weshalb mein Mitspieler Wolfram Wuttke ihn liebevoll Osram taufte.
    Im Nachhinein hätte ich mir von Heynckes ein bisschen mehr Verständnis gewünscht. Er wollte auch jenseits des Platzes die Kontrolle haben, und ich musste ihm Rechenschaft ablegen, wenn ich mal wieder nach dem Samstagsspiel zu meinen Eltern fahren wollte. Das sah er nicht so gerne. Daher habe ich es ihm auch einige Male verschwiegen, dass draußen vor dem Stadion schon der gepackte Golf stand mit der Schmutzwäsche für meine Mutter. Für ihn war das Gerödel über die Autobahnen eine unnötige Anstrengung. Für mich war es aber wichtig, um mich wohlzufühlen. Es nützte mir ja nichts, die Sehnsucht nach meiner alten Umgebung an den freien Tagen zu ignorieren und unglücklich wieder zum Training zu erscheinen. Heimweh hatte ich keines, aber ich habe die Telefonzelle länger blockiert, als es den Menschen, die draußen warteten, lieb war. Die Groschen sind nur so durchgerauscht. Speziell in den ersten beiden Jahren fuhr ich sehr oft nach Hause. Auch weil meine Freundin dort noch wohnte, meine

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