Ganz oder gar nicht (German Edition)
rechte Auge, das prompt anschwoll. Beste Voraussetzungen für ein Elfmeterschießen, das Elfmeterschießen. Jupp Heynckes kam zu mir und sagte: »Du schießt.« Ich entgegnete: »Ich schieße nicht.« Er: »Du schießt.« Ich: »Ich schieße nicht. Ich habe schlecht gespielt. Ich habe kein gutes Gefühl.« Heynckes wieder: »Nein. Du bist immer der Elfmeterschütze Nummer eins bei uns gewesen.« Ich wieder: »Gut, wenn es unbedingt sein muss, dann schieße ich.« »Welchen Elfmeter willst du schießen?«, fragte mich Heynckes. »Gleich den ersten. Dann habe ich’s hinter mir.«
Und genauso habe ich ihn geschossen. Ohne Sicherheit, ohne Motivation, ohne Konzentration. Ganz sicher wollte ich nicht vorbeischießen. Aber wenn dir auf dem Weg zum Elfmeterpunkt das schlechte Spiel, die Augenprellung und der Wechsel zu den Bayern im Kopf herumspukt, dann ist das einfach zu viel. Ich wollte eigentlich rechts unten verwandeln. Aber durch die Gedanken war ich so abgelenkt, dass ich Dinge machte, die einfach nicht mehr normal sind – und schoss über die Latte. Ich schwöre bei meinen Kindern, dass weder Absicht noch Geld im Spiel waren. Für mich wäre es das Größte gewesen, als Pokalsieger nach München zu wechseln. Stattdessen diese Schmach, ich wünschte, ich wäre unsichtbar gewesen. Ich habe mich unendlich geschämt.
Bei aller Legendenbildung will ich aber doch daran erinnern, dass ich nicht den entscheidenden Elfmeter verschossen habe. Da Klaus Augenthaler ein paar Schüsse später für Bayern München genauso versagte, konnte ich erst einmal durchatmen. Es stand wieder unentschieden. Und dann war es leider Norbert Ringels, der seinen Elfmeter an den Pfosten setzte. Die Entscheidung. Darüber spricht keiner mehr.
Zuerst waren die Fans bloß sauer, weil die Bayern der Konkurrenz mal wieder den Leistungsträger wegkauften. Dieser Unmut war nachzuvollziehen. Vielleicht nahm man mir auch die Aussage nicht ab, mich durch den Wechsel sportlich verbessern zu wollen. Denn ich hatte gerade meine bislang beste Saison in Mönchengladbach gespielt, und wir schlossen einen Platz vor den Bayern ab. Auch möglich. Dass dann aber eine solche Tragödie inszeniert wurde, in der ich die Rolle des Sündenbocks spielen sollte, das wurde meiner Zeit in Mönchengladbach nicht gerecht. Ich hatte fünf wunderbare Jahre dort und ein sensationelles Verhältnis zu den Fans. Zu erleben, dass ein einziger Schuss fünf Jahre Begeisterung und Freundschaft kaputtmachen kann, das war schon brutal.
Nein, es ist immer noch brutal. Manche Fans nehmen mir das heute noch übel. Ich wurde jahrelang gnadenlos ausgepfiffen, beleidigt, beworfen und bespuckt und trug fortan den Beinamen Judas. Erstmals hörte ich ihn in Form eines Sprechchores, als ich mit dem FC Bayern mein erstes Auswärtsspiel auf dem Bökelberg bestreiten musste. Tausendfach schallte es aus der Nordkurve: »Judas! Judas! Judas!« Mit einem solchen Hass hatte ich nicht gerechnet. Und ich finde es schade, dass der Verein Borussia Mönchengladbach das zugelassen und einen verdienten Spieler nicht durch einen eindeutigen Appell an die Fans geschützt hat.
Vielleicht war ja auch der Verein sauer auf mich. Die bösen Blicke der Verantwortlichen nach dem Spiel habe ich sehr wohl bemerkt. Fest steht, dass mir Jupp Heynckes die Sache ziemlich übel genommen hat. Aber hatte er nicht seinen Anteil an der Niederlage? Hatte er mich nicht gewaltig unter Druck gesetzt? Hatte er mich nicht in eine Pflicht genommen, der ich nicht gewachsen war? Meine Ablehnung, einen Elfmeter schießen zu wollen, hat er nicht verstanden. Aus diesem Desaster habe ich als Trainer gelernt. Meine Spieler sollen frei entscheiden, ob sie einen Elfmeter schießen oder nicht.
Danach spielte ich eine enttäuschende Europameisterschaft. Wir sind in der Gruppenphase gegen Spanien nach einem guten Spiel in der letzten Minute ausgeschieden. Das anschließende Alternativprogramm hieß Urlaub, genauer: Kreta. Das war auch bitter nötig. Denn ein grausamer Sommer lag hinter mir. Der grausamste meiner Karriere.
ERST MÜNCHEN, DANN MEXIKO
Nach der EM zog ich nach München. Ich entkam der Provinz endgültig. Dieses Mal ging es in eine Weltstadt, es war ein Sprung in eine neue Dimension. Hier war alles größer, edler, feiner, organisierter und professioneller. Wobei mich die Stadt und die berühmte Münchner Schickeria nicht interessierten. Baby Schimmerlos konnte mich mal gern haben. Ich war auf den Fußball fokussiert und in
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