Ganz oder gar nicht (German Edition)
Sachen Fußball sehr viel unterwegs. Mir blieb nicht viel freie Zeit in München, und ich kann mich nicht erinnern, damals in Schwabing aus gewesen zu sein.
Beim FC Bayern musste ich wieder um meinen Platz kämpfen. Zwar hörten Spieler wie Breitner oder Rummenigge auf, dennoch traf ich auf einige gestandene Recken. Ich sollte im offensiven Mittelfeld für Schwung sorgen. Gott sei Dank hatte ich mit Udo Lattek einen Trainer, der mir Zeit gab, um mich einzugewöhnen. Er war ein Kumpeltyp, der gerne einen mittrank. Wenn Lattek gut drauf war, durfte auch mal ein Training ausfallen. Wenn er schlecht drauf war, hieß es Training statt Mittagessen, und es wurde die Peitsche rausgeholt. Wir wurden gequält, bis wir uns auf dem Trainingsplatz übergeben mussten. Es lohnte sich. Vom ersten bis zum letzten Spieltag stand der FC Bayern auf Platz 1 der Tabelle. Ich schoss 16 Tore, darunter eines gegen Mönchengladbach. Im Finale des DFB-Pokals mussten wir uns allerdings Bayer Uerdingen 1:2 geschlagen geben.
Kurz nach dem verpatzten Pokalendspiel flog ich mit der Nationalmannschaft nach Mexiko. Franz Beckenbauer war inzwischen Nationaltrainer. Er wollte uns schon mal mit den Gegebenheiten konfrontieren, mit denen wir uns in einem Jahr bei der Weltmeisterschaft zu arrangieren haben würden – die Höhenluft, die Hitze, die Infektionsgefahr.
Gleich am zweiten Tag ging es gegen die Engländer, die sich schon ein paar Tage länger an diese besondere Situation hatten gewöhnen können. Wir verloren 0:3. Ich glaube, es war auch gar nicht Sinn der Sache, gute Ergebnisse zu erzielen, sonst würde man nicht direkt am Tag nach einem Langstreckenflug in eine andere Zeitzone zu einem Freundschaftsspiel antreten. Wir waren total übermüdet. Die Begegnungen waren so terminiert, dass wir am frühen und späten Nachmittag, also in der größten Hitze, auflaufen mussten. Wir wussten ja, dass uns diese Uhrzeiten und die hohen Temperaturen auch bei der WM erwarten würden, damit die Spiele in der Heimat wie gewohnt am Abend live übertragen werden konnten.
Franz Beckenbauer gab uns am Abend nach dem Englandspiel frei und wies noch darauf hin, dass wir, falls wir in einer Bar einkehrten, bitte unsere Getränke ohne Eiswürfel zu uns nehmen sollten. Man wüsste ja um die Verunreinigungen im Leitungswasser. Ein Bacardi Cola schmeckt ohne Eiswürfel aber nun einmal überhaupt nicht. Am nächsten Morgen saßen nur Toni Schumacher und Uli Stein beim Frühstück, der Rest hatte mit fiesen Magen-Darm-Krämpfen zu kämpfen. Auch ich. Mir ging es sprichwörtlich scheiße. Zwei Tage lang lagen wir flach, in dunklen Zimmern, isoliert von der Außenwelt. Für jeden stand ein Eimer neben dem Bett, weil es oft nicht mehr bis zur Toilette reichte. Der Arzt versorgte uns mit Tee und Zwieback. Nur ganz langsam ging es wieder bergauf.
Nun mussten wir aber drei Tage nach dem England-Spiel gegen die Mexikaner auflaufen. Wir mussten! Wir konnten den Gastgeber unmöglich verprellen, das Spiel im Aztekenstadion in Mexiko City war bereits seit Wochen mit 100000 Zuschauern ausverkauft. Wir wurden also geweckt, Franz Beckenbauer kam auf mein Zimmer. Und es war das erste Mal, dass ich wieder ein wenig Licht sah – was weniger an der Lichtgestalt lag, die plötzlich an meinem Bett stand. Franz fragte mich: »Wie geht es dir, Lothar?« »Oh, mir geht es gar nicht gut.« »Du musst spielen!« »Was soll ich spielen? Skat? Mir geht es ganz schlecht. Ich schaffe es noch nicht einmal aufzustehen.« »Lothar, du stehst auf. Wir müssen gegen die Mexikaner spielen. Es geht nicht anders.« Und dann erzählte mir Franz, dass die Lage so prekär sei, dass er sich vom DFB-Präsidenten die Ausnahmegenehmigung geholt hätte, sich selber aufzustellen – für den Fall der Fälle. Aber ein Franz ersetzt keine Nationalelf. Was sollten wir tun?
Man kutschierte also eine kranke, geschwächte Mannschaft zum Stadion. Wir verzichteten aufs Warmmachen, das hätte uns zu viel Kraft gekostet. Jeder hatte ja drei, vier Kilo Körpergewicht verloren. Doch selbst in der Kabine kam es zu verzweifelten Aktionen. »Wo ist der Ludwig Kögl?«, rief Franz plötzlich. »Der sitzt auf Toilette«, meinte einer. »Der Ludwig muss spielen. Litti packt es doch nicht, der hat 39 Fieber.« Wir würfelten also irgendeine Mannschaft zusammen und warfen noch einmal Durchfalltabletten ein. Ich spielte notgedrungen auf meiner ungeliebten Position als rechter Verteidiger. Das Tempo war nicht so hoch, und wir
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