Ganz oder gar nicht (German Edition)
junger Kerl aus der Provinz nur staunen. Ich war noch Idealist und glaubte an den reinen Fußball. Während der Eskapaden habe ich meist mit Wolfgang Niersbach und einem seiner Journalistenkollegen um Zehntelpfennige Skat gespielt, stundenlang. Die beiden waren Profis, ich verlor jedes Spiel.
Wolfgang Niersbach, 2012 aufgestiegen zum DFB-Präsidenten, war, als ich ihn 1979 in Mönchengladbach kennenlernte, Journalist beim Sportinformationsdienst (SID) in Düsseldorf. Er hatte sich auf Fußball und Eishockey spezialisiert, und so lernten wir uns nicht auf dem Rasen kennen, sondern im Eisstadion der Düsseldorfer EG, wo wir mit ein paar Mönchengladbacher Profis häufiger Spiele besuchten. 1980 durfte er als junger Journalist schon mit uns zur EM nach Italien reisen. Es entwickelte sich eine richtige Freundschaft. Nach der WM 1982 fuhren wir sogar gemeinsam in den Robinson Club nach Marbella. Bei der EM 1988 war Wolfgang plötzlich Pressesprecher des DFB und stand auf der anderen Seite. Unsere Freundschaft hielt. Er coachte mich sogar in meinem Umgang mit Interviews. Bei meinem 50. Geburtstag hielt er die Laudatio, in der er sich auf kritisch-amüsante Art mit meinem Naturell beschäftigte. Er erzählte, wie er mich als jungen, ungestümen Spieler kennengelernt hatte, wie er versucht hatte, mich vor den Fangfragen seiner Journalistenkollegen zu schützen. Und er gab zu verstehen, dass ich zwar das Herz am richtigen Fleck haben, mir aber gerne Knoten in die Zunge reden würde.
Obwohl mir also diese WM phasenweise so vorkam wie eine Klassenfahrt liebeshungriger Halbstarker, konnten wir uns bis ins Finale durchmogeln. Angesichts der Vorfälle war das ein sensationelles Ergebnis. Ich kam zu nicht mehr als zwei Einwechslungen in der Vorrunde gegen Chile und Österreich. In der Zwischenrunde feierten die Jungs zwei knappe Siege gegen Spanien und England, kamen im Halbfinale gegen Frankreich nach einem 1:3-Rückstand im Elfmeterschießen weiter und scheiterten bekanntlich im Finale an den Italienern. Ein steiniger Weg, aber die Ergebnisse stimmten. Da hatte der Trainer wenig Veranlassung zu wechseln.
WARUM ICH KEINEN OUZO MEHR TRINKE
29. Oktober 1983: Ich war zu Besuch bei meinen Eltern in Herzogenaurach. An alter Wirkungsstätte sah ich mir ein Match meines Ex-Clubs an – und kehrte nachher mit ein paar Spielern in der Wirtschaft ein. Wir wollten eine Kleinigkeit essen, haben aber wohl doch vor allem getrunken. Irgendwann hatte ich so viel intus, dass ich keine Lust mehr hatte, noch irgendein Gespräch zu führen. Ich bin in einem Zustand ins Auto gestiegen, in dem man nicht mehr in ein Auto steigen sollte. Noch heute kann ich mich an erstaunliche Details erinnern. Ich verließ den Parkplatz und steuerte auf eine gelb blinkende Ampel zu. Ich ging vom Gas, wartete, fuhr weiter. Die nächste gelb blinkende Ampel. Wieder ging ich vom Gas, wieder wartete ich, wieder fuhr ich weiter. Wohl ein bisschen zu schnell für die Straßenverhältnisse. Es hatte geregnet, Blätter lagen auf der Fahrbahn, und ich fuhr einen getunten Mercedes 190 mit breiten Reifen, nagelneu. Mit ungefähr sechzig Stundenkilometern kam ich ins Rutschen, krachte in einen Gartenzaun und überschlug mich. Ich stieg aus und dachte nur daran wegzulaufen. Wahrscheinlich stand ich unter Schock. Nach ein paar hundert Metern setzte ich mich auf eine Parkbank. Anwohner hatten den Unfall verfolgt und führten mich zurück zum Unfallort, wo die Polizei bereits eingetroffen war. Man stellte einen Alkoholwert von 2,06 Promille fest. Dieser elende Ouzo von dem Griechen im Vereinsheim! Seitdem trinke ich keinen Ouzo mehr. Das gab natürlich eine Schlagzeile, die ich nicht brauchte. Ich weiß nicht, was alles in ein Leben gehört. Das jedenfalls nicht.
Am nächsten Morgen verließ ich das Krankenhaus auf eigene Verantwortung, da ich den Zug von Nürnberg nach Köln kriegen musste. Ich war rechtzeitig beim Training. Vor mir war allerdings die Schlagzeile angekommen, das ging damals auch schon recht schnell. Es gab ein Gespräch mit Jupp Heynckes und Helmut Grashoff, die gnädigerweise auf eine Strafe verzichteten. Ich war ja schon genug gestraft: acht Monate Führerschein weg, 10000 Mark Geldstrafe, das Auto Schrott. Bis heute ist das ein Tag, aus dem ich viel gelernt habe. Dabei hätte ich diesen Ouzoabend noch weitaus teurer bezahlen können – mit meiner gesamten noch ausstehenden Karriere.
Auch wenn ich häufig damit angeeckt bin, habe ich gelernt, den
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