Ganz oder gar nicht (German Edition)
Kolumbianer allerdings – sie boten mit ihrem verrückten Torhüter René Higuita und dem schauspielerisch begabten Mittelfeldspieler Carlos Valderrama große Unterhaltung – war der Treffer wichtig: So kamen sie in die nächste Runde.
Zwischen den Spielen lagen immer drei, vier Tage, die wir nicht nur zum Trainieren nutzten, sondern auch zum Wasserskifahren. Oft verschwanden wir nach dem Mittagessen Richtung Comer See und saßen nach zehn Minuten Fahrt in Badehose auf meinem Motorboot – zuweilen mit ein paar Flaschen Bier. Die Ehefrauen hatten die Gelegenheit, ihre Männer zu besuchen. Die Tür zum Hotel stand ihnen offen, nicht immer, aber doch regelmäßig. Da hat Franz Beckenbauer die richtige Mischung gefunden zwischen Entspannung und Konzentration.
Die war nötig, denn bereits im Achtelfinale trafen wir auf die Holländer. Das muss man sich mal vorstellen: Deutschland gegen Holland war immer schon ein aufgeladenes Duell. Doch jetzt kam es in der Begegnung noch zusätzlich zum Stadtduell zwischen den drei Ausländern von Inter Mailand (Brehme, Klinsmann, Matthäus) und den drei Ausländern vom AC Mailand (Gullit, Rijkaard, van Basten). Anpfiff war am 24. Juni 1990, 21 Uhr. Die Stimmung im Stadion kochte. 80000 Zuschauer standen unter Strom. Die ersten Minuten beherrschte Holland das Spiel klar, hatte viele Chancen und hätte eigentlich in Führung gehen müssen. Doch langsam bekamen wir das Spiel in den Griff und erkämpften uns Feldüberlegenheit. Dann kam es zu einer der unmöglichsten Szenen einer WM: zur Attacke von Frank Rijkaard gegen Rudi Völler. Nachdem Rudi Völler im Kampf um den Ball über Torhüter Hans van Breukelen gesprungen war und dieser den sterbenden Schwan spielte, gerieten die beiden aneinander. Es kam zur Rudelbildung im Strafraum der Holländer. Das Chaos gipfelte darin, dass Rijkaard Völler zweimal in die Locken spuckte. Einmal vor der roten Karte, die beide Spieler erhielten, obwohl Völler nichts verbrochen hatte. Und einmal nach der roten Karte beim vorzeitigen Herunterlaufen vom Platz. Wie niederträchtig! Man spuckt nicht! Man spuckt nicht privat, man spuckt nicht auf dem Platz! Und erst recht spuckt man niemandem absichtlich ins Gesicht. Diese roten Karten haben den Holländern glücklicherweise mehr geschadet als uns. Hätten sich die Oranjes auf das Wesentliche konzentriert, nämlich aufs Fußballspielen, hätten sie uns auch bei der WM 1990 rausschmeißen können. So kippte das Spiel.
In der zweiten Halbzeit war es dann Jürgen Klinsmann, der sein wahrscheinlich bestes Länderspiel machte. Beim Zehn gegen Zehn hatte er plötzlich mehr Platz im Strafraum und konnte sich besser entfalten. Er schoss das erste Tor aus fünf Metern nach einem Pass von Guido Buchwald. Andy Brehme zirkelte wenig später den Ball aus sechzehn Metern ins lange Eck, ebenfalls nach einem Zuspiel von Buchwald. Der Anschlusstreffer per unberechtigtem Elfmeter konnte uns nicht mehr nervös machen. Die Revanche für das Ausscheiden bei der EM 1988 war gelungen, wir spürten große Genugtuung. Auch wegen der vielen unschönen Szenen. Und Franz Beckenbauer meinte sogar, dass mit diesem Sieg die WM eigentlich vorbei sein könnte. Hatten wir doch den Erzrivalen und den Mitfavoriten des Turniers ausgeschaltet. Gott sei Dank haben wir weitergemacht.
KURZURLAUB WÄHREND DER WM
Nach dem Erfolg gegen Holland erwartete uns eine Pause von sechs Tagen bis zum Viertelfinale gegen die Tschechen. Franz Beckenbauer gab uns zwei Tage frei, die wir gnadenlos nutzten, um es uns gut gehen zu lassen. Thomas Berthold und ich sind mit unseren Frauen zum Gardasee gefahren. Er hat damals in Verona gespielt und lebte in einem Anwesen direkt am See. Wir haben unsere deutschen Freunde dorthin eingeladen, zelebrierten Weißweinpartys bis in den frühen Morgen und fuhren angeheitert Wasserski. Jeder Spieler genoss diese zwei Tage in Form eines individuellen Kurzurlaubs, Karl-Heinz Riedle fuhr sogar nach Deutschland zurück zu seiner Familie. Bei Rudi Völler begann die Liebe mit Sabrina, seiner zukünftigen Frau, mit der er viele romantische Stunden verlebte. Solch eine Freiheit bei einer WM, das war schon allerhand. Angst, dass dieser Kurzurlaub uns an die Substanz gehen würde, hatte ich nicht. Vier Tage bis zum nächsten Spiel sollten genug sein, um das ganze Zeug wieder auszuschwitzen und auszuschlafen.
Zurück im Hauptquartier stand für Rudi Völler und mich eine Reise nach Rom an. Wir wollten bei der FIFA gegen
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