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Ganz oder gar nicht (German Edition)

Ganz oder gar nicht (German Edition)

Titel: Ganz oder gar nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Häusler , Lothar Matthäus
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sodass wir jeden Morgen nur 15 Minuten fahren mussten. Ich konnte mir dort mit meiner Frau Silvia und meinen beiden Töchtern Alisa und Viola – sie kamen 1986 und 1988 zur Welt – ein wunderbares Ferienidyll gestalten und das Dolce Vita genießen. Wir hatten ein schönes Zuhause mit großem Garten, und auf dem Comer See lag ein Boot. Ich genoss die italienische Küche, fand erstmals Gefallen an der Mode von Gucci, Versace und Prada und wurde vor allem durch den damaligen Inter-Torhüter Walter Zenga, einem gebürtigen und sehr stilbewussten Mailänder, an die Hand genommen und in die High Society eingeführt. Besonders der italienische Lebensstil hat mir imponiert, die Freiheit, die Lockerheit, das Lachen, das Leben auf der Straße.
    Und zusammen mit Andy Brehme arbeitete ich mit Volldampf an einem besseren Italienisch. Wir lernten per Wörterbuch, per Zeitung, per Fernseher, per Mitspieler. Während die Franzosen beim FC Bayern – ich denke da nur an Jean-Pierre Papin oder Bixente Lizarazu – noch nach Jahren ihre Interviews auf Französisch gaben, saßen Andy und ich nach drei Monaten in italienischen Talkshows – ohne Dolmetscher. Wahrscheinlich haben wir uns angehört wie irgendein Fremder, der nach Deutschland kommt und nach drei Monaten versucht, Witze zu erzählen. Aber wir haben uns bemüht, um uns schnell zu integrieren. Die Italiener bemerkten das und begegneten uns von Beginn an mit Sympathie.
    Auch fußballerisch schwammen wir direkt auf der Erfolgswelle. Wir starteten mit einem Sieg in Ascoli und eroberten am vierten Spieltag Platz eins, den wir bis zum Schluss nicht mehr hergaben.

FREISTOSS ZUR MEISTERSCHAFT
    Speziell das Rückspiel in der ersten Saison zwischen Inter Mailand und dem SSC Neapel war für mich ein ganz besonderes. Maradona auf der einen Seite als amtierender Meister, ich auf der anderen Seite als kommender Meister. Die Meisterschaft sollten wir genau in diesem Duell klarmachen, vier Spieltage vor Saisonende. Neapel lag damals fünf oder sechs Punkte hinter uns auf Platz 2. Neapel ging 1:0 in Führung, wir glichen aus, und sechs Minuten vor Schluss machte ich das Siegtor. Aber wie! Ein Zweikampf in der Luft brachte uns einen Freistoß aus rund 18 Metern in zentraler Position. Andy schnappte sich schnell den Ball und wartete, bis der Schiedsrichter die Spieler in der Mauer gemaßregelt hatte. Der Ball wurde freigegeben, Brehme lief an, ein Neapolitaner bewegte sich jedoch zeitgleich zu schnell aus der Mauer. Ein Pfiff, das Ganze noch einmal. Die Mauer wurde gestellt, der Schiedsrichter gab den Ball ein zweites Mal frei, dieses Mal kam Brehme zum Schuss und traf einen Spieler, der wieder zu früh aus der Mauer gelaufen war. Wieder wurde abgepfiffen. Diskussionen. Maradona mischte sich ein. Inzwischen bestand die Mauer aus neun Mann. Mir wurde die Sache zu blöd. Ich sagte: »Andy, geh weg, lass mich mal machen« und holte mir den Ball. Dann bemerkte ich eine entscheidende Kleinigkeit, die ich noch bei keinem anderen Freistoß gesehen hatte. Der Torwart stellte die Mauer so, dass zwischen den Spielern ein Loch entstand. Wahrscheinlich, damit er den Ball sehen konnte. Merkwürdig. Ich nahm fünf Schritte Anlauf und schoss das Ding volle Pulle ganz bewusst durch diese minimale Lücke. Der Ball hatte Effet, unten links schlug es bei Neapel ein. Das Tor zum Sieg, das Tor zur Meisterschaft. Von Jubel ließ sich in dem Falle nicht sprechen. Ein wahrer Hurrikan ging durchs Stadion, in einer selten noch einmal erlebten Lautstärke. Nach zehn Jahren ohne Meistertitel und der Vorherrschaft des AC Mailand mit seinen holländischen Superstars beschenkten wir die Fans mit einem neuen Punkterekord von 58:10. Und das will schon etwas heißen – in der damals stärksten Liga der Welt.
    Solche Momente nährten eine italienische Verehrung, die in meinem Beinamen Il grande gipfelte. Mein damaliger Vize-Kapitän Giuseppe Bergomi, Weltmeister von 1982, erklärte die Faszination einmal damit, dass ich es schaffte, den Siegeswillen und den unbedingten Glauben an uns selbst in die Mannschaft zu tragen. »Wir hatten eine enorme Auswärtsschwäche«, erklärte er bei Sky Italia. »Bevor wir auf den Platz des Gegners liefen, fragte uns Lothar: Wie hoch wollen wir heute gewinnen? Und wer schießt die Tore? Sein Selbstbewusstsein hat die ganze Mannschaft geformt.«

HARMONIE TOTAL
    So Gott es wollte, konnten wir uns im letzten Moment für die WM 1990 qualifizieren – durch ein Tor von Thomas Häßler

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